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Elfenblick

Elfenblick

Titel: Elfenblick
Autoren: Katrin Lankers
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sagen. Mageli fand, Mutti klang steif und außerdem kindisch. Linda war anderer Meinung – wie so oft: Dass Kinder ihre Eltern mit dem Vornamen anredeten, gehörte sich einfach nicht. Ihren Paps nannte Mageli ja auch weiterhin Paps!
    Am Frühstückstisch verbreiteten ihre drei kleinen Brüder wie meistens Chaos. Junior und Paul stritten um die Cornflakes-Packung. Beschimpfungen flogen wie Pingpong-Bälle hin und her. Unbeeindruckt von dem Streit, verspeiste Theo, der Jüngste, seine Cornflakes mit den Fingern, wobei ein Großteil der Milch auf den Fußboden tropfte. Mageli hatte das Gefühl, in einer dieser grässlichen Fernsehsendungen gelandet zu sein, bei denen gleich eine Supernanny um die Ecke kommen und Linda Erziehungstipps erteilen würde. Nur dass Linda bei so etwas natürlich nie mitmachen würde. Das hatte sie nicht nötig. Mageli beobachtete die chaotische Szene amüsiert und hatte wie so oft den Eindruck, nicht dazuzugehören.
    »Na, na, nicht so wild, ihr zwei.« Mit beiden Händen wuschelte Linda den Jungs durch ihre braunen Strubbelhaare. Dann nahm sie sich ein Tuch von der Spüle und wischte die Milchpfütze unter Theos Stuhl auf, bevor Shakespeare sich sein zweites Frühstück vom Fußboden lecken konnte.
    »Weg, Felix, geh«, verscheuchte sie den Kater und wedelte dazu wild mit dem Lappen. Der Name passte zu dem bunt gescheckten Riesentier mit dem struppigen Fell so schlecht wie Miezi zu einem Löwen, fand Mageli. Jost hatte das Tier vor etwas über einem Jahr bei einer seiner langen Autotouren auf der Straße aufgelesen. Mageli wusste gleich, als ihr Vater den Kater zur Tür hereinbrachte, wie sie ihn nennen wollte: Shakespeare. Der alte Engländer war schon damals ihr absoluter Lieblingsschriftsteller gewesen. Am meisten mochte sie sein Stück Romeo und Julia. Das war so herrlich tragisch! Shakespeare war der perfekte Name für diesen Charakterkater. Mageli war die Einzige in der Familie, die ihn so rief. Und sie war auch die Einzige, auf die er gelegentlich hörte.
    Mageli hatte nur ganz kurz nach Shakespeare Ausschau gehalten – der sich wohlweislich vom morgendlichen Frühstückschaos fernhielt –, und schon hätte sie beinahe das große Finale im Streit ihrer Brüder verpasst. Sie sah gerade noch, wie Junior Paul mit beiden Händen am Arm zog, worauf dieser in einer eleganten Kurve vom Stuhl segelte. Der Stuhl flog polternd zu Boden, daneben zerschellte Pauls Müslischüssel, und Cornflakes und Milch spritzten quer durch die Küche. Vergeblich versuchte Mageli, ihr Lachen als Husten zu tarnen.
    »Dass du das komisch findest, war klar«, fauchte ihre Mutter. »Hilf mir lieber, die Sauerei wegzuwischen.«
    Mageli seufzte. Sie hatte keine Lust, schon vor der Schule die Putzfrau zu spielen. Außerdem fand sie es unfair, dass sie für ihre Brüder den Dreck wegmachen sollte. Aber sich zu weigern, das wusste sie aus sechzehn Jahren Erfahrung, führte nur zu mehr Stress.
    »Ich muss los«, stieß sie hervor, sprang von ihrem Stuhl und beeilte sich, aus der Küche zu kommen. Hinter sich hörte sie Linda noch irgendetwas von wegen »pünktlich zurück und beim Fensterputzen helfen« rufen, dann war sie aus der Haustür hinaus.
    Sie holte ihr klappriges grünes Herrenrad aus der Garage, warf den Rucksack ins Körbchen und schwang sich in den Sattel. Shakespeare hatte es sich in einem frühen Sonnenstrahl auf der Vordertreppe gemütlich gemacht und sie winkte ihm zu. Komischer Kater! Es war viel zu kühl für diese Jahreszeit, ein Sonnenbad − vor allem so früh am Morgen − war sehr ungewöhnlich. Als sie aus der gekiesten Einfahrt in die schmale Straße einbog und fest in die Pedale trat, hatte sie den Eindruck, der Kater hätte ihr schelmisch zugezwinkert.
    Dann fiel ihr ein, dass sie ihr Sportzeug vergessen hatte.
    Mageli sah Rosann schon von Weitem an den Fahrradständern lehnen. Ihre feuerroten Haare hatte sie auf dem Kopf zu einer wilden Frisur aufgetürmt, und wie immer trug sie schwarze Klamotten und stach aus dem Gewusel der Schüler heraus, die ihre Fahrräder kreuz und quer an den gebogenen Stangen festschlossen.
    Rosann hatte noch nicht bemerkt, dass Mageli über den Schulhof auf sie zugefahren kam. Abwesend starrte sie Löcher in die Luft und spielte mit ihren Schneidezähnen an dem Piercing in ihrer Unterlippe; das Durcheinander um sie herum schien sie nicht wahrzunehmen. Welchen verworrenen Gedankengängen Rosann wohl wieder nachhing? Es konnte sich ebenso gut um eine komplizierte
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