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Elf Leben

Elf Leben

Titel: Elf Leben
Autoren: Mark Watson
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wieder zu ihr gegangen? Weil ich ein bekloppter Voll- … weil ich sie liebe. Aber den Fehler mach ich bestimmt nicht noch mal. Ich such mir eine, die mich nicht schlägt!«
    Xavier und Pippa sehen zu, wie er mit ungelenken Schritten die restlichen Stufen hinunterstapft. Er öffnet die Haustür, die einen kalten Luftstoß unten in den Hausflur lässt. Instinktiv schauen sie die Treppe hoch, ob sich Tamara blicken lässt, aber es ist nichts zu sehen und nichts zu hören, nur eine bleischwere Stille und das leiser werdende Wimmern des besänftigten Jamie im Erdgeschoss.
    Am nächsten Morgen macht sich Pippa früh auf den Weg – sie will vor dem ersten Putztermin nach Wendy sehen. Die Ereignisse der vergangenen Nacht liegen klamm über ihren Gesprächen, und Pippa wirkt zerstreut, als sie Xavier einen Abschiedskuss gibt. Er versucht, die Sendung vorzubereiten, aber er kann sich nicht konzentrieren. In Gedanken geht er noch einmal die vielen Male durch – mindestens ein halbes Dutzend im letzten Vierteljahr –, als von oben Geräusche kamen. Hätte er all das verhindern können? Es genügt ihm nicht mehr, sich mit dem Gedanken zu trösten, dass die Dinge eben ihren Lauf nehmen.
    Jamie ist quengelig wie immer und zersplittert die Luft mit einem wütenden Schrei, als Xavier die Post hereinholt und an die Tür klopft. Mel sieht aus, als hätte sie die ganze Nacht kein Auge zugetan, und ihm fällt auf, wie dünn sie geworden ist; ihr Pullover hängt weit über ihren Schultern.
    »Was war denn letzte Nacht los?«
    Xavier wirft einen verlegenen Blick hinauf ins Treppenhaus, als wären die Ereignisse da oben noch im Gange.
    »Der Freund von der Frau … von Tamara, der kam auf einmal rausgerannt. Sie hatten einen Streit … also, einen richtig heftigen, meine ich –«
    » JAMIE , PASS AUF ! Tschuldige. Einen richtigen Streit? Hat er sie geschlagen?«
    »Sie … sie hat ihn geschlagen.«
    »Mein Gott.«
    »Ich glaube, das ging schon eine ganze Weile so.« Xavier räuspert sich.
    »Mein Gott«, sagt Mel noch einmal. »Meinst du, wir sollen, na ja, sie anzeigen oder …«
    Er will gerade antworten, als Jamie an ihren Beinen vorbei in den Flur schießt und mit seiner Plastikfeuerwehr auf Xaviers Knie zielt. Er erwischt Xavier mit dem kleinen Auto genau an der Kniescheibe, und der aufgemalte Fahrer grinst, als Xavier aufschreit.
    »Scheiße«, murmelt Mel in sich hinein. »Jamie, komm wieder hierher. Ach je, das tut mir so leid. Ich … er ist einfach so ein Energiebündel.«
    Mel fasst sich an die Stirn.
    »Geht’s dir gut?«
    »Ja, ja, alles okay. Du musst denken, ich bin immer krank. Ich hab bloß ein bisschen Migräne. Du musst denken, ich bin völlig …« Sie lächelt betrübt, das Gesicht gräulich weiß. »Tut mir leid.«
    »Soll ich mal mit ihm rausgehen?«, hört Xavier sich fragen.
    »Rausgehen …? Mit Jamie?«
    »Einfach, damit du mal eine Pause machen kannst. Ich könnte mit ihm unten auf dem Waldweg spazieren gehen, eine Stunde oder so. Wenn du möchtest.«
    Noch während er das sagt, hofft er, sie lehnt ab. Dir ist nicht zu trauen, sagt eine Stimme in Xaviers Hinterkopf. Erinnerst du dich noch an Michael, was du mit ihm gemacht hast? Aber er schiebt diesen Gedanken energisch beiseite.
    Mel hockt sich neben Jamie.
    »Hast du Lust, mit Xavier spazieren zu gehen?«
    Jamie nickt.
    »Bist du auch artig?«
    Er nickt, mit zusammengepressten Lippen und vorwurfsvollem Blick, als täte ihm diese Frage Unrecht.
    »Und du bist auch nicht ungezogen oder rennst Xavier weg?«
    Jamie schüttelt den Kopf mit den blonden Schnittlauchlocken und sieht immer noch leicht verwundert aus, dass solche Fragen überhaupt gestellt werden.
    Er dreht sich um und sieht Xavier an.
    »Darf Valentine auch mitkommen?«
    »Valentine ist sein Hase«, erklärt Mel. Jamie hält Xavier ein schmuddeliges weißes Plüschtier hin, wie jemand, der etwas zu verzollen hat. Xavier besieht sich den fraglichen Mitspaziergänger mit ernster Miene.
    »Ist Valentine denn genauso artig?«
    Jamie berät sich kurz mit Valentine.
    »Ja.«
    »Na dann los.«
    »Vielen, vielen Dank«, sagt Mel. »Bist du dir auch wirklich ganz sicher?«
    Na ja, für einen Rückzieher ist es jetzt wohl ein bisschen spät, denkt Xavier und nimmt Jamies Hand. Sie gehen den schmalen Gehweg am unteren Ende der Bayham Road entlang, wo die Autos gefährlich schnell vorbeirasen. Als sie die Straße überquert haben, lässt Xavier vorsichtig Jamies Hand los und sieht zu, wie der
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