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Elf Leben

Elf Leben

Titel: Elf Leben
Autoren: Mark Watson
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mussten sie gemeinsam durch. Bec gibt das Telefon an Matilda zurück, und sie verabschieden sich. Xavier stellt sich vor, wie Bec und Matilda Russell von dem Anruf erzählen, wenn er nach Hause kommt, und wie die drei nüchtern über ihren alten Freund reden.
    Er weiß, dass Australien Vergangenheit ist und dass diese Menschen für ihn Vergangenheit sind, er kann nicht mehr zurück in sein früheres Leben, aber es braucht ihn auch nicht mehr zu quälen. Es ist einfach, wie es ist. Xavier legt das Telefon weg. Durch das Fenster sieht er zu, wie sich ein Bus den Berg hoch quält. Im Hafen von Sydney wirft der Mond, der letzte Nacht die schlafende Pippa beschienen hat, ein geisterhaftes Flutlicht auf das ruhige Wasser. Matilda, auf Becs Balkon, sieht zu ihm hoch und denkt einen Augenblick an Chris.
    Als die Dunkelheit hereinbricht, regnet es: Wieder einmal scheint London die Dunkelheit zu nutzen, um einen Wetterumschwung einzuschmuggeln. Um acht Uhr klingelt es an der Tür. Jamie in der Wohnung im Erdgeschoss ist still; Mel sieht fern. Verglichen mit den lärmenden Sendungen, die sie für Jamie einschaltet, haben die überdrehten Aufschreie aus ihren Soaps fast etwas Beruhigendes. Auf der Schwelle steht Pippa mit ihrem blau-gelben Wäschesack, den Xavier ihr wie selbstverständlich abnimmt. In der anderen Hand hält sie einen großen schwarzen Schirm.
    »Ich dachte, du magst keine Schirme.«
    »Ich wollte den schönen Mantel nicht versauen, den du mir gekauft hast.«
    »Ich wusste noch nicht mal, dass du überhaupt einen Schirm hast .«
    »Ich hab vier Pfund investiert und mir einen gekauft. Sag nicht, ich würde nie einen Rat von dir annehmen.« Sie drängt sich an ihm vorbei zur Treppe. »Selten, aber nicht nie.«
    Sie liegen beieinander, nach einer Runde Sex, die sie binnen zehn Minuten von allen Ärgernissen und Unvollkommenheiten der letzten acht Stunden befreit hat. Auf dem Nachttisch liegen Xaviers Notizen für die heutige Sendung. Er streichelt mit der linken Hand Pippas kräftige Schulter. Sie hat die Bettdecke bis zum Kinn hochgezogen; er streckt sich nackt auf dem Laken aus.
    »Das war schön.«
    Sie dreht sich weg.
    »Ich weiß nicht, wovon du redest«, erwidert sie hochmütig.
    Xavier grinst.
    »Schläfst du heute Nacht hier?«
    »Du bist ja nicht mal da . Du kommst erst um halb fünf zurück. Halb fünf, verdammte Scheiße!«
    »Aber ich leg mich gern neben dir schlafen. Ich mag es, wenn du da bist.«
    »Ich muss nach Wendy sehen.«
    »Wirst du immer nach Wendy sehen müssen?«
    »Wie meinst du das?«
    Xavier fährt sich mit der Zunge über die Lippen.
    »Na ja, wenn du – hier einziehen würdest … Wenn du hier wohnen würdest … dann könntest du dir das Leben viel leichter machen.«
    Sie sagt nichts.
    »Du könntest trotzdem noch arbeiten gehen, wann du willst. Aber du könntest dich öfter ausruhen.«
    »Und meine Schwester?«
    »Ihr könntet euch noch genauso oft sehen.«
    »Sie würde durchdrehen.«
    »Sie kann ja auch mit hier einziehen.«
    Pippa prustet los.
    »Du kannst nicht über Nacht zwei Geordies bei dir einziehen lassen. Du würdest die Krise kriegen. Wir machen einen Heidenlärm.«
    »Ich hätte Spaß an einem Heidenlärm.«
    Sie setzt sich auf und rafft die Bettdecke um sich herum. Xavier blickt an seinem nackten Körper hinab.
    »Sie verlässt sich darauf, dass ich immer da bin.«
    »Meinst du, das ist gesund?«
    »Gesund.« Sie schnaubt. »Sie hören Xavier Ireland auf Late Lines .«
    »Ich weiß, dass sie … dass ihr Schwestern seid. Und ich sage ja nicht, du sollst sie ihrem Schicksal überlassen. Ich glaube nur, es könnte ihr gut tun, mehr … selbständiger zu werden. Keine Ahnung. Manchmal braucht man eben Mut.«
    Sie sieht ihn an, und er fragt sich, ob sie ihm wohl gleich die Sache mit Tamara entgegenhält, oder irgendein anderes der zahlreichen Beispiele für seine Feigheit und Tatenlosigkeit. Aber sie reibt bloß sanft ihre Hand an seiner, wirft die Beine aus dem Bett und geht ins Bad. Wie nach so vielen Gesprächen zwischen zwei Menschen ist schwer zu sagen, was dabei herausgekommen ist.
    Nachdem Pippa gegangen ist, um sich wieder um Wendy zu kümmern, denkt Xavier noch einmal über seine Worte nach – dass man Mut braucht, handeln muss –, und ihm fällt auf, dass er es gerade nötig hat, Pippa Vorträge zu diesem Thema zu halten.
    Er sucht seine Notizen für die Sendung zusammen und zieht die Jacke an, genau in dem Moment, als draußen Murray hupt. Xavier geht
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