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Elf Arten der Einsamkeit - Short stories

Titel: Elf Arten der Einsamkeit - Short stories
Autoren: Richard Yates
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Taxi fuhren.«
     Und wissen Sie, was er tat? Oh, keine Sorge, er hielt nicht an, stieg aus, zerrte sie vom Rücksitz und trat ihnen einen nach dem anderen in den Unterleib – nichts von diesem »My-Flag-Is-Down«-Blödsinn. Zum einen hörte er aus ihrem Gespräch heraus, daß sie nicht auf der Flucht waren, zumindest nicht an diesem Abend. An die- sem Abend hatten sie lediglich den Laden (ein kleines Schnapsgeschäft nahe der Ecke, an der er sie aufgenom- men hatte) ausbaldowert; der Coup war für den nächsten Abend elf Uhr geplant. Als sie vor der miesesten Spelunke der Stadt ankamen, gab der hartgesottene Verbrecher dem kleinen Ganoven ein bißchen Geld und sagte: »Hier, Junge. Bleib im Taxi, fahr nach Hause und schlaf dich aus. Wir sehen uns morgen.« Und da wußte Bernie, was er zu tun hatte.
     »Der kleine Ganove lebte in Queens, und so hatten wir genügend Zeit, uns zu unterhalten, und ich fragte ihn, wer sein Favorit für die Baseball-Meisterschaft war.« Und von da an hielt Bernie mit tiefsinnigen Volksweis- heiten und größtem Geschick einen ununterbrochenen Gesprächsfluß über unverfängliche Milch-und-Sonnen- schein-Themen des anständigen Lebens aufrecht, und noch bevor sie auf der Queensboro Bridge waren, hatte er seine harte Delinquenten schale geknackt. Sie rasten den Queens Boulevard entlang und plauderten wie zwei Anhänger des Polizeisportvereins, und als die Fahrt zu Ende war, schwam- men die Augen von Bernies Fahrgast praktisch in Tränen.
     »Ich sah, daß er mehrmals schluckte, als er mich be- zahlte«, ließ ich Bernie es ausdrücken, »und ich hatte das Gefühl, daß sich in dem Jungen etwas verändert hatte. Vielleicht hoffte ich es auch nur oder wünschte es mir. Aber ich wußte, daß ich alles in meiner Macht Stehende für ihn getan hatte.« Zurück in der Stadt, rief Bernie bei der Polizei an und schlug vor, das Schnapsgeschäft am nächsten Abend observieren zu lassen.
     Und tatsächlich fand ein Raubüberfall auf den Laden statt, der jedoch von zwei rauhen, liebenswerten Polizi- sten vereitelt wurde. Und tatsächlich konnten sie nur einen Gangster einbuchten – den hartgesottenen Verbre- cher. »Ich weiß nicht, wo der Junge an diesem Abend war«, schloß Bernie, »aber ich stelle mir gern vor, daß er zu Hause im Bett lag, ein Glas Milch trank und die Sport- seiten las.«
     Da waren das Dach und der Schornstein darauf; da waren die vielen Fenster, durch die das Licht herein- strömte; und wieder lachte Dr. Alexander Corvo anerken- nend in sich hinein, und wieder wurde die Geschichte Reader's Digest unterbreitet; erneut wurde von einem Ver- trag mit Simon & Schuster und von einer Drei-Millionen- Dollar-Produktion mit Wade Manley in der Hauptrolle gemunkelt; und ich bekam wieder fünf Dollar mit der Post.
    Ein kleiner, zerbrechlicher alter Herr fing eines Tages im Taxi Ecke Neunundfünfzigste Straße und Third Avenue an zu weinen, und als Bernie sagte: »Kann ich Ihnen irgendwie helfen, Sir?«, folgte auf zweieinhalb Seiten die herzzerreißendste Jammergeschichte, die ich mir ausden- ken konnte. Er war Witwer; seine einzige Tochter hatte vor langer Zeit geheiratet und war nach Flint, Michigan, gezogen; seit zweiundzwanzig Jahren war sein Leben eine Agonie der Einsamkeit, aber bis jetzt hatte er es tapfer ertragen, weil er eine Arbeit hatte, die er liebte – er war zuständig für die Pflege der Geranien in einer großen Gärt- nerei. Aber an diesem Morgen hatte ihm die Geschäfts- führung gekündigt: Er war zu alt für diese Art Arbeit.
     »Und jetzt erst«, hieß es laut Bernie Silver, »stellte ich die Verbindung her zu der Adresse, die er mir genannt hatte – eine Ecke auf der Manhattan-Seite der Brooklyn Bridge.«
     Bernie war sich natürlich nicht sicher, daß sein Fahr- gast vorhatte, auf die Brücke zu humpeln und seine alten Knochen über das Geländer zu hieven; genausowenig konnte er jedoch ein Risiko eingehen. »Ich dachte, daß es an der Zeit war, ein bißchen zu plaudern« (und damit hatte er recht: Eine weitere schwere halbe Seite Gejam- mer des ermüdenden alten Mannes, und die Geschichte wäre aus ihrem verdammten Fundament gekippt). Als nächstes folgten eineinhalb forsche Seiten Dialog, auf denen Bernie sich diskret erkundigte, warum der alte Mann nicht nach Michigan zu seiner Tochter zog oder ihr zumindest schrieb, damit sie ihn vielleicht einlud; aber, oh, nein, er klagte nur, daß er seiner Tochter und ihrer Familie keinesfalls zur Last fallen
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