Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Elf Arten der Einsamkeit - Short stories

Titel: Elf Arten der Einsamkeit - Short stories
Autoren: Richard Yates
Vom Netzwerk:
es ihn betraf, konnte ich noch immer so viele solide Verbindungen im Zei- tungswesen haben wie Dr. Corvo in der Kinderpsycholo- gie oder Wade Manley beim Film), und statt dessen hatte er sich dafür entschieden, den Satz mit »Ihre schriftstelle- rischen Talente« zu beenden. Und da war mir klar, daß es trotz meiner pedantischen Sorge, Bernies Gefühle wäh- rend des Telefongesprächs nicht zu verletzen, letztlich Bernie gewesen war, der alles getan hatte, um meine Gefühle zu schonen.

    Ich kann reinen Gewissens sagen, daß ich im Lauf der Jahre nicht oft an ihn gedacht habe. Es wäre eine hüb- sche Pointe, wenn ich behaupten würde, daß ich nie in ein Taxi steige, ohne vorher Nacken und Profil des Fah- rers eingehend zu mustern, aber es wäre gelogen. Es stimmt jedoch, und das fällt mir erst jetzt ein, daß ich oft, wenn ich nach den richtigen Worten für einen heiklen persönlichen Brief suche, an »Ich hatte heute keine Zeit, Ihnen einen kurzen Brief zu schreiben, statt dessen muß- te ich Ihnen einen langen Brief schreiben« denke.
     Ob ich es nun ernst meinte oder nicht, als ich sagte, daß ich ihm Glück mit seinem Comic strip wünschte, eine Stunde später begann ich es jedenfalls ernst zu mei- nen. Ich meine es jetzt ernst, aus ganzem Herzen, und das Komische ist, daß er noch immer etwas daraus bauen könnte, Kontakte oder nicht. Aus lächerlicheren Dingen wurden in Amerika schon Reiche errichtet. Jedenfalls hoffe ich, daß er das Interesse an seinem Vorhaben in der einen oder anderen Form nicht verloren hat; aber mehr alles andere hoffe ich bei Gott – und das ist diesmal kein Fluch –, ich hoffe bei Gott, daß er Rose nicht verloren hat.
     Nachdem ich alles noch einmal gelesen habe, sehe ich, daß es nicht sehr gut gebaut ist. Die Trage- und Querbal- ken, ja, sogar die Mauern sind irgendwie nicht in Ord- nung; die Fundamente scheinen schwach; vielleicht habe ich zu Beginn versäumt, die Grube richtig auszuheben. Aber es hat keinen Sinn, sich deswegen jetzt noch Sorgen zu machen, denn es ist an der Zeit, das Dach darauf zu setzen – Sie auf den neuesten Stand zu bringen, was mit dem Rest von uns Baumeistern geschehen ist.
     Alle Welt weiß, was mit Wade Manley geschah. Er starb ein paar Jahre später unerwartet, im Bett; und die Tat- sache, daß es sich um das Bett einer jungen Frau und nicht um das Bett seiner Frau handelte, war pikant genug, um die Boulevardpresse über Wochen hinaus zu beschäf- tigen. Im Fernsehen werden noch immer seine alten Fil- me wiederholt, und wann immer ich einen sehe, bin ich von neuem überrascht, daß er ein guter Schauspieler war – vermutlich viel zu gut, um jemals die Rolle eines sentimental-einfältigen Taxifahrers mit einem Herzen so groß wie die ganze Welt zu spielen.
     Was Dr. Corvo anbelangt, so gab es eine Zeit, als alle wußten, was mit ihm geschehen war. Es war irgendwann zu Beginn der fünfziger Jahre, jedenfalls in dem Jahr, in dem die Fernsehgesellschaften ihre massivste Werbekam- pagne entwickelten und lancierten. Eine der massivsten wurde um die von Dr. Alexander Corvo, bedeutender Kinderpsychologe, unterzeichnete Behauptung aufgebaut, daß ein Junge oder ein Mädchen, in dessen Heim kein Fernsehgerät stand, in unserer Zeit höchstwahrscheinlich in einer an Gefühlen armen Welt aufwachsen würde. Alle anderen Kinderpsychologen, alle bekennenden Liberalen und nahezu jede Mutter und jeder Vater in den Vereinig- ten Staaten fielen über Alexander Corvo her wie ein Heu- schreckenschwarm, und als sie mit ihm fertig waren, war nicht mehr viel seines hohen Ansehens übrig. Seitdem, so behaupte ich jetzt einfach, verzichtet die New York Times jederzeit für einen Newbold Morris auf ein halbes Dut- zend Alexander Corvos.
     Und damit sind wir bei Joan und mir, und jetzt kommt der Schornstein. Ich muß Ihnen mitteilen, daß auch das, was sie und ich aufgebaut hatten, zusammengebrochen ist, vor ein paar Jahren. Oh, wir sind noch immer be- freundet – keine Auseinandersetzungen vor Gericht wegen Unterhaltszahlungen oder Sorgerechten oder etwas Ähn- lichem –, aber so ist es.

    Und wo sind die Fenster? Wo kommt das Licht herein?
     Bernie, alter Freund, verzeih mir, aber darauf weiß ich keine Antwort. Ich bin nicht einmal sicher, daß dieses Haus überhaupt Fenster hat. Vielleicht muß das Licht, so gut es kann, durch die Spalten und Ritzen eindringen, die das mangelhafte Geschick der Baumeister übrigließ, und wenn es so ist, kannst du gewiß sein,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher