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Elf Arten der Einsamkeit - Short stories

Titel: Elf Arten der Einsamkeit - Short stories
Autoren: Richard Yates
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und wenn Bernie die erste Geschichte gefiel, wenn ich eine pro Woche für ihn schreiben könnte, wäre das einer Gehaltserhöhung von fünfzig Prozent gleichgekommen. Neunundsiebzig Dollar in der Woche! Mit dieser Knete und den sechsundvierzig, die Joan als Sekretärin nach Hause brachte, hätten wir in Null Komma nichts genug, um nach Paris gehen zu kön- nen (und vielleicht würden wir dort keine Gertrude Steins oder Ezra Pounds kennenlernen, vielleicht würde ich kein »Fiesta« zustande bringen, aber ein möglichst baldiger Aus- landsaufenthalt war nichts weniger als unerläßlich für meine Hemingway-Pläne). Außerdem könnte es auch Spaß machen – oder es könnte zumindest Spaß machen, den Leuten davon zu erzählen: Ich wäre der Lohnschreiber eines Taxifahrers, der Bauarbeiter eines Bauunternehmers.
     Jedenfalls lief ich an diesem Abend die Zwölfte Straße
    entlang, und wenn ich nicht lachend, schreiend und her- umalbernd in die Wohnung platzte, dann nur weil ich mich zwang, mich unten an die Briefkästen zu lehnen, bis ich wieder Luft geschöpft und die weltläufige, amü- sierte Miene aufgesetzt hatte, mit der ich Joan die Neuig- keiten erzählen wollte.
     »Aber wer glaubst du, gibt das Geld dafür?« fragte sie. »Er kann es doch nicht aus eigener Tasche bezahlen, oder? Ein Taxifahrer kann es sich nicht leisten, über einen längeren Zeitraum fünfundzwanzig Dollar die Wo- che zu zahlen, oder?«
     Das war ein Aspekt der Sache, auf den ich nicht gekom- men war – und es war typisch für sie, eine so vollkom- men logische Frage zu stellen –, aber ich tat mein Bestes, mich mit meiner eigenen Art von zynischer Schwärmerei darüber hinwegzusetzen. »Wer weiß? Wen kümmert's? Vielleicht gibt Wade Manley das Geld. Vielleicht Dr. Wie- heißt-er-noch. Entscheidend ist, daß es da ist.«
     »Na gut«, sagte sie, »gut. Was glaubst du, wie lange wirst du für die Geschichte brauchen?«
     »Ach, überhaupt nicht lange. Ich schreibe sie in ein paar Stunden am Wochenende.«
     Aber dem war nicht so. Ich verbrachte am Samstag den ganzen Nachmittag und Abend mit einem falschen Anfang nach dem anderen; immer wieder verhedderte ich mich im Dialog des streitenden Paars und in techni- schen Unsicherheiten, was Bernie tatsächlich im Rück- spiegel sehen konnte, sowie in Zweifeln, was ein Taxi- fahrer in so einer Situation sagen konnte, ohne daß der Mann ihm den Mund verbot und ihn anwies, auf den Verkehr zu achten.
     Am Sonntagnachmittag lief ich herum, brach Bleistifte entzwei, warf sie in den Papierkorb und fluchte; zur Hölle mit allem; offenbar taugte ich nicht einmal zum gottver- dammten Ghostwriter für einen verdammten Blödmann von gottverdammtem Taxifahrer.
    »Du versuchst es zu sehr«, sagte Joan. »Oh, ich habe
    gewußt, daß das passieren würde. Du willst so unerträg- lich literarisch sein, Bob, das ist lächerlich. Du mußt nur an den tränentreibendsten Kitsch denken, den du im Leben je gelesen oder gehört hast. Denk an Irving Berlin.«
    Und ich antwortete, ich würde ihr den Mund mit Irving
    Berlin stopfen, wenn sie mich nicht auf der Stelle in Ruhe ließe und sich um ihre eigenen gottverdammten Ange- legenheiten kümmerte.
     Aber spät am Abend geschah etwas Wunderbares, wie Irving Berlin sich ausgedrückt hätte. Ich nahm das kleine Miststück von Geschichte und baute etwas daraus. Zuerst räumte und grub und legte ich ein wirklich gutes Funda- ment; dann holte ich das Holz und peng, peng, peng – zog ich die Mauern hoch und setzte das Dach darauf und obenauf den süßen kleinen Schornstein. Oh, und ich baute auch jede Menge Fenster ein – große quadratische Fenster –, und als das Licht hereinströmte, blieb nicht der leiseste Schatten eines Zweifels, daß Bernie Silver der wei- seste, sanftmütigste, mutigste und liebenswerteste Mann war, der je »Kinders« gesagt hatte.
     »Sie ist perfekt«, sagte Joan beim Frühstück, nachdem sie die Geschichte gelesen hatte. »Oh, sie ist einfach per- fekt, Bob. Ich bin sicher, daß es genau das ist, was er will.«
     Und so war es. Ich werde nie vergessen, wie Bernie dasaß, mit einem Ginger-ale in der einen und meinem bebenden Manuskript in der anderen Hand, und las, wie er, darauf würde ich heute noch wetten, nie zuvor gele- sen hatte und all die behaglichen, schmucken Wunder des kleinen Heims erforschte, das ich für ihn errichtet hatte. Ich sah zu, wie er jedes Fenster entdeckte, eins nach dem anderen, und sein Gesicht von ihrem Licht in
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