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Elefantengedaechtnis

Elefantengedaechtnis

Titel: Elefantengedaechtnis
Autoren: António Lobo Antunes
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Backenbart über uns ausschüttet?
    Und, indem er noch näher rückte, vertraulich:
    – Ich habe das Gefühl, daß Sie dem nahestehen, wenn Sie nicht sogar dazugehören, aber Sie waschen sich wenigstens, Sie sind korrekt, Ihr Vater ist Professor hier. Sagen Sie mal: Können Sie sich vorstellen, mit einem Tischler an einem Tisch zu essen?
    In meiner Kindheit, dachte der Psychiater, waren die Menschen in drei streng voneinander getrennte, nicht vermischbare Kategorien aufgeteilt: die der Dienstmädchen, Gärtner und Chauffeure, die in der Küche aßen und aufstanden, wenn wir vorbeikamen, die der Nähfrauen und Kindermädchen, die Anrecht auf einen Extratisch hatten und denen die bevorzugte Behandlung zuteil wurde, eine Papierserviette zu bekommen, und die Kategorie der Menschen, die der Familie angehörten, die das Eßzimmer besetzten und christlich über das Wohlergehen
ihrer Muschiken wachten (»das Personal« nannte sie meine Großmutter), indem sie ihnen gebrauchte Kleidung, Uniformen und ein zerstreutes Interesse an der Gesundheit ihrer Kinder schenkten. Es gab noch eine vierte Spezies, die der »Kreaturen«, zu denen Friseusen, Maniküren, Tippsen und die Stieftöchter von Sergeanten gehörten, welche die unserem Stamm angehörenden Männer umkreisten, um sie herum die sündigen Spinnennetze ihrer magnetisierenden Seitenblicke webten. Die »Kreaturen« »heirateten« nicht, »sie ließen sich im Standesamt eintragen«, sie gingen nicht zur Messe, verschwendeten keinen Gedanken an das drängende Problem der Bekehrung Rußlands: Sie widmeten ihr dämonisches Leben Lüsten, die ich nicht recht verstand und die in dritten Stockwerken ohne Fahrstuhl praktiziert wurden, aus denen meine Onkel heimlich mit dem Lächeln einer wiedererlangten Jugend zurückkehrten, während die Weibchen des Klans sich in der Kirche mit geschlossenen Augen und heraushängender Zunge zur Kommunion begaben, Chamäleons, die sich anschickten, in mystischer Gier Mückenhostien zu verschlingen. Hin und wieder, während der Mahlzeit, wenn der Psychiater, damals noch ein kleiner Junge, mit offenem Mund kaute oder die Ellenbogen auf dem Tisch aufsetzte, wies der Großvater mit kategorischem Zeigefinger auf ihn und sagte düster:
    – Du wirst in den Händen der Köchin enden wie der Truthahn.
    Und die darauffolgende schreckliche Stille verbürgte mit ihrem Prägesiegel die drohende Katastrophe.
    – Antworten Sie, befahl der Kollege. Können Sie sich vorstellen, mit einem Tischler an einem Tisch zu essen?
    Der Arzt kam mühsam zu ihm zurück wie jemand, der ein
Bild in einem verstellten Mikroskop justiert: Von der Spitze einer Pyramide aus Vorurteilen herab betrachteten ihn vierzig bourgeoise Generationen.
    – Warum nicht? sagte er, indem er die Herren mit Spitzbart und die rundum rundlichen Damen mit üppigem Busen herausforderte, die sich mühevoll, von Hosenträgern und den Korsettstäben aus Walbarten gestört, miteinander zu einem komplexen Häkelwerk gekreuzt hatten, um am Ende eines Jahrhunderts ehelicher Pflichten einen Nachkommen zu zeugen, der zu derart undenkbaren Revolten wie der eines künstlichen Gebisses fähig war, das, um den eigenen Herrn zu beißen, aus dem Wasserglas heraushüpfte, in dem es nachts lächelte.
    Der Kollege wich entgeistert zwei Schritte zurück:
    – Warum nicht? Warum nicht? Mann, Sie sind ein Anarchist, ein Randständiger, Sie paktieren mit dem Osten, Sie sind für die Übergabe der Überseeprovinzen an die Neger.
    Was weiß dieser Kerl von Afrika, fragte sich der Psychiater, während der andere, ein Hurrapatriot des Salazarregimes, sich mit empörten spitzen Schreien entfernte und dabei versprach, eine Laterne auf dem Boulevard für ihn zu reservieren, was weiß dieser fünfzigjährige Esel vom Krieg in Afrika, in dem er weder gestorben ist noch gesehen hat, wie andere starben, was weiß dieser Kretin von den Verwaltern der Militärposten, die Eiswürfel in den Anus der Schwarzen einführten, die ihnen mißfielen, was weiß dieser Dummkopf von der Qual, zwischen dem entwurzelten Exil und der absurden Idiotie sinnlosen Schießens wählen zu müssen, was weiß dieser Schwachkopf von den Napalmbomben, von den schwangeren Mädchen, die von der Pide totgeschlagen wurden, von den Minen, die unter den Rädern der Lastwagen zu Feuerpilzen erblühten, von der Sehnsucht,
von der Angst, von der Wut, von der Einsamkeit, von der Verzweiflung? Wie immer, wenn er sich an Angola erinnerte, stiegen ihm plötzlich
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