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Elefantengedaechtnis

Elefantengedaechtnis

Titel: Elefantengedaechtnis
Autoren: António Lobo Antunes
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Bürokollegen kleiden, um den restlichen Galaxien die bevorstehende Ankunft des Antichrists zu verkünden. Es gab auch welche, die ganz allein vorstellig wurden und, matt vor Hunger, gegen ein Bett, in dem sie schlafen konnten, der Spritze die Hinterbacke darboten, Stammkunden, die der Pförtner wegschickte, den Arm herrisch ausgestreckt wie die Statue von Marschall Saldanha, der seinen auf
die Bäume des Campo de Santana gerichtet hatte, wo die Dunkelheit sie zu einem Nebel von sich umarmenden Körpern verschmolz. Hier hinein, dachte der Arzt, mündet das letzte Elend, die absolute Einsamkeit, was wir an uns selber nicht ertragen können, die verborgensten und beschämendsten unserer Gefühle, die wir bei den anderen Verrücktheit nennen, die aber letztlich unsere eigene ist, vor der wir uns schützen, indem wir sie mit Etiketten versehen, hinter Gittern zusammenpferchen, mit Pillen und Tropfen nähren, damit sie weiterbesteht, der wir am Wochenende Ausgang geben und sie auf den Weg in eine »Normalität« bringen, die wahrscheinlich nur darin besteht, das Leben auszustopfen. Wenn man sagt, daß die Psychiater verrückt sind, überlegte er, während er, die Hände in den Taschen, die Tresterschnapsseraphim beobachtete, trifft man, ohne es zu wissen, den Nagel auf den Kopf: In keiner Berufsgruppe trifft man auf so viele Wesen, deren Hirn dermaßen korkenzieherartig ist und die sich selber mit Schlafkuren behandeln, weil man sie davon überzeugt hat, und die diejenigen, die sie aufsuchen, gewaltsam behandeln, während sie selber auf der Suche nach dem unmöglichen Wunder die Ängste ihrer Traurigkeit von einer Praxis zur anderen schleppen wie ein Humpelnder sein schiefes Bein von einer Begradigungsaktion zur anderen. Menschen mit Diagnosen bekleiden, sie hören, ohne ihnen zuzuhören, nicht in ihnen, sondern neben ihnen stehen wie am Ufer eines Flusses, dessen Strömungen, Fische und die Felsenhöhlung, aus der er entspringt, man nicht kennt, den Wirbel der Flut erleben, ohne die Füße naß zu machen, eine Tablette nach jeder Mahlzeit empfehlen und eine Pille am Abend und mit dieser Pfadfinder-Heldentat zufrieden sein: Was bringt mich dazu, diesem finsteren Club anzugehören, überlegte
er, und täglich ein schlechtes Gewissen wegen der Kraftlosigkeit meiner Proteste und meiner angepaßten Unangepaßtheit zu haben und irgendwie auch wegen der Gewißheit, daß die Revolution, die von innen heraus gemacht wird, bei mir nicht funktioniert, die ich als Entschuldigung, als mir selbst erteilte Letzte Ölung benutze, um weiter nachzugeben? Dies waren Fragen, auf die er keine klare Antwort hatte und die ihn verwirrten und, von Unsicherheiten, Zweifeln, Skrupeln aufgebracht, unglücklich machten: Als er am Anfang seiner Assistenzzeit dort hineinging und sie ihn in dem heruntergekommenen, angsteinflößenden Krankenhausgebäude herumführten, von dem er bislang nur den Hof und die Fassade kannte, hatte er sich in einem riesigen Gutshaus in der Provinz gewähnt, das von den Geistern Fellinis bewohnt war: An Mauern gestützt, von denen klebrige Feuchtigkeit rann, onanierten halbnackte Schwachsinnige mit schaukelnden Bewegungen und wandten ihm den zahnlosen Schrecken ihrer Münder zu; Männer mit geschorenem Kopf lagen in der Sonne, bettelten oder steckten sich Zigaretten an, deren Hülle von Spucke schwarz gewordenes Zeitungspapier war; alte Männer verfaulten auf vergammelten Matratzen, hatten keine Worte mehr, waren ohne Gedanken, nur zitternde Pflanzen, die gerade noch lebten; und es gab den Rundbau der 8. Station und die von Gittern zurückgehaltenen Menschen, herumirrende Affen, die unzusammenhängende Sätze mümmelten, zufällig in den Löchern des Stalles landeten, in dem sie schliefen. Und hier bin ich, sagte sich der Arzt, kollaboriere nicht kollaborierend mit der Weiterführung des Ganzen hier, mit der schrecklichen kranken Maschine namens Geistige Gesundheit, die die kleinen Sprosse der Freiheit, die in uns in linkischer Form als
unruhiger Protest wachsen, im Keim zermalmen, paktiere mit meinem Schweigen, dem Gehalt, das ich bekomme, der Karriere, die mir angeboten wird: Wie soll ich von innen, fast ohne Hilfe, der wirksamen, weichen Unbeweglichkeit der institutionellen Psychiatrie widerstehen, der Erfindung der großen weißen Linie, die die »Normalität« von der »Verrücktheit« durch ein komplexes Netz aus Symptomen trennt, der Psychiatrie als grober Entfremdung, als Rache der Kastrierten gegen den Penis, den
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