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Electrica Lord des Lichts

Electrica Lord des Lichts

Titel: Electrica Lord des Lichts
Autoren: Helene Henke
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dem so sein sollte, zöge ich eindeutig die zweite Möglichkeit vor.“
    Meggie seufzte und fuhr fort, Sues Hände dick mit Salbe einzureiben. Müde sah sie aus. Ihr warmer Blick wurde getrübt von dunklen Schatten unter ihren Augen. Das dunkle Haar, wie üblich streng zurückgebunden, war durchzogen von silbrigen Fäden. Für ihr Alter hatte sie vergleichsweise wenig Falten, doch ihre eingefallenen Wangen ließen sie älter aussehen. Sue wusste, es konnte nicht ihr Ernst sein, Sean als Gemahl in Betracht zu ziehen. Was den Sheriff hingegen betraf, war sie sich auf einmal nicht mehr so sicher.
    „Es sieht dir nicht ähnlich, mich plötzlich zur Heirat zu bewegen. Stimmt etwas nicht? Du bist doch nicht etwa krank?“ Der Gedanke, eines Tages ohne Tante Meggie dazustehen, jagte Sue einen Schrecken ein. Obwohl sie wusste, dass dies zum unabänderlichen Lauf des Lebens gehörte, war sie einfach noch nicht bereit, sich mit einem erneuten Verlust auseinanderzusetzen. Zu sehr schmerzte die Erinnerung an ihren Vater. Sogar nach so langer Zeit.
    „Nein, ich bin nicht krank. Ich sorge mich ein wenig um deine Zukunft. Es ist nicht einfach für eine alleinstehende Frau.“
    „Du bist auch allein.“
    „Ich bin Witwe, Sue, und nicht freiwillig allein ...“
    Der leicht ungehaltene Unterton in Tante Meggies Stimme überraschte Sue. Für sie war es so selbstverständlich, mit ihrer Tante zu leben, dass sie nicht das Gefühl hatte, etwas zu entbehren. Ihr war nicht der Gedanke gekommen, ihre Tante könnte diejenige sein, die möglicherweise einsam war. Es fiel Sue schwer, sich einen Mann an Meggies Seite vorzustellen. Sie war die Haushälterin des Schulmeisters, zwei alleinstehende Leute, die sich gegenseitig halfen, ohne die Pflicht einer Ehe eingehen zu müssen. Jeder andere Gedanke löste Unbehagen aus und kam dem Eindringen in die Intimsphäre ihrer Tante gleich, von der sie sich nicht mal vorstellen konnte, dass diese existierte. Sue beschloss, ihr Gespräch wieder auf das ursprüngliche Thema zu lenken.
    „So oder so sollte es jedem selbst überlassen sein, einen Partner zu wählen oder nicht“, entgegnete Sue. „Vater war der Ansicht, dass dem Bund der Ehe eine freie Entscheidung von Mann und Frau vorangehen sollte.“
    Meggie seufzte. „Mein frei denkender Bruder hat dir allerhand törichtes Gedankengut in den Kopf gesetzt. Das kommt von dem Umgang mit diesen Künstlern und Literaten, den er durch deine Mutter in Bath pflegte. Dieses ganze Gebaren von Rechten lässt sich schwer in das Leben der einfachen Leute integrieren.“
    „Mom war eine besondere Frau. Leider hatte ich keine Gelegenheit, sie kennenzulernen.“ Sue hielt kurz inne bei dem Gedanken an ihre Mutter. Sie starb bei ihrer Geburt, doch die bildhaften Erzählungen ihres Vaters hatten ein Bild von ihr entstehen lassen, das sich anfühlte, als würde sie ihre Mutter kennen. „Dafür dürfte es ihrem Einfluss zu verdanken sein, dass ich gelernt habe, meinem eigenen Willen zu folgen.“
    Tante Meggie winkte ab. „Nur nutzt es dir nicht viel auf der Insel. Manchmal wünschte ich, du würdest dich einfach mit dem Leben hier zufriedengeben. Stattdessen wirkst du unstet, voller Erwartungen, von denen kaum welche in Erfüllung gehen können.“
    „Wir leben nach Gottes Gebot, dagegen ist nichts einzuwenden. Doch ich kann nichts gegen diese Unruhe in meinem Herzen, gegen die Gedanken in meinem Kopf. Aber lassen wir solche Diskussionen. Wir wissen beide, dass wir im Grunde einer Meinung sind.“
    „Ich kann nur hoffen, dass das Schicksal dir hilft, deinen Weg zu finden.“
    Mit diesen Worten stand Meggie auf und widmete sich der Zubereitung des Abendessens. Sue begab sich mit der Wäsche in den Garten. Obwohl derartige Gespräche die Regel waren, beschäftigte sie noch lange das seltsame Verhalten ihrer Tante. Etwas schien sie zu bedrücken, ließ sie unterwürfiger erscheinen, als sie eigentlich war. Sue nahm sich vor, bei Gelegenheit deutlich nachzufragen.
    Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012

Kapitel 2
    A
ls Sue am nächsten Abend die Stufen zum Schulhaus hinaufeilte, fand sie die Eingangstür halb offen. Seltsam. Um diese Zeit war kein Mensch im Dorf unterwegs, die Schüler daheim und dürften sich wie der Schulmeister bei Tisch befinden. Dass er vergessen hatte, die Tür zu schließen, kam ihr eigenartig vor. Beim Durchqueren des Klassenzimmers vernahm sie die verhaltene Stimme ihrer Tante am anderen Ende des
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