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Electrica Lord des Lichts

Electrica Lord des Lichts

Titel: Electrica Lord des Lichts
Autoren: Helene Henke
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zu beweisen, berichteten von menschenunwürdigen Verhältnissen in der Zwischenstation für Verdammte. Der Justiz des Sheriffs einmal entkommen, suchte jeder möglichst schnell das Weite.
    „Natürlich verunsichert es die Menschen, wenn sie seltsame Geschichten hören. Dem sollte man nicht allzu viel Bedeutung beimessen“, lenkte Sue beschwichtigend ein. „Es ist nur so, dass jemand wie Sean die Dinge anders sieht als gesunde Menschen.“
    „Flimmflämmchen, Flimmflämmchen!“, rief Sean hinter ihnen.
    Sean hüpfte von einem Bein auf das andere und deutete aufgeregt auf den äußeren Turmgiebel von Duart Castle.
    „Was hat das denn schon wieder zu bedeuten?“ Mit gerunzelter Stirn beobachtete Black Seans aufgeregtes Gebaren.
    „Das ist seine Bezeichnung für Glühwürmchen. Er glaubt, sie sammeln sich nachts unter der Glaskuppel des Turms, um die Schiffe davor zu warnen, auf gefährliche Riffe aufzulaufen.“ Sue drückte sacht Seans ausgestreckten Arm hinunter und klopfte ihm auf die Schulter, damit er weiterging. „Wie ein natürlicher Leuchtturm. Eine niedliche Vorstellung“, sinnierte Sue und blinzelte zum Turm hinauf. Ob das Dach tatsächlich aus Glas war, wusste sie nicht. Zumindest sah es danach aus, denn es reflektierte das Sonnenlicht.
    „Wie kommt der Bursche darauf, dass es dort oben bei Nacht leuchtet?“, fragte Black argwöhnisch.
    Wie gedankenlos. Ausgerechnet dem Wächter der Sperrstunde hatte sie offenbart, dass Sean manchmal bei Nacht das Haus verließ. „Dafür kann er nichts. Schon als Kind ist er nachts umhergewandert. Sein Vater meinte, er sei mondsüchtig. Wenn er ihn irgendwo im Wald gefunden hatte, war er nicht ansprechbar. Als wäre er nicht wach. Bis auf das eine Mal, als er ihn weinend gefunden hatte, weil er glaubte, die Bestie mit den glühenden Augen gesehen zu haben.“
    Die Miene des Sheriffs verfinsterte sich, obwohl er die Geschichte längst kannte. Jedem in Lochdon waren Seans seltsame Erzählungen vertraut. Teilweise sorgten seine gestenreichen Ausführungen für allgemeine Erheiterung. Wirklich ernst nahm ihn niemand. Hoffte Sue zumindest.
    „Es sind nichts weiter als kindliche Fantasien. Sean wird immer diesen Stand behalten.“ Atemlos gab Sue ein leises Stöhnen von sich, weil ihr unter dem Gewicht des Korbes langsam die Puste ausging. Der Sheriff schien davon nichts zu bemerken, sondern richtete seinen Blick nach vorn.
    Sean stieß ein erschrecktes Geräusch aus, das sogleich überging in keckerndes Gekicher. Anscheinend hatte er Bruchstücke des Gesprächs mitbekommen.
    Sheriff Black warf ihm einen missmutigen Blick zu. „Man sollte die Worte der Narren nicht unterschätzen.“
    „Aber ...“
    Mit einer herrischen Handbewegung gebot Black ihr, zu schweigen. „Solange wir nicht wissen, was dort vor sich geht, werde ich dafür Sorge tragen, dass sich niemand dem Schloss nähert. Oder hast du vergessen, dass hier schon Leute auf unerklärliche Weise verschwunden sind?“
    Sue rollte die Augen über diese hanebüchene Behauptung eines Gesetzesmannes. Überhaupt nahm sie dem Sheriff nicht ab, dass er zum Wohle seiner Untergebenen handelte. Dazu war er viel zu sehr darauf bedacht, jeden von Duart Castle fernzuhalten. „Das war vor zwanzig Jahren. Solange wohne ich noch nicht hier.“
    Jeder wusste von der damaligen Pockenepidemie auf Mull. Die Insel war monatelang vom schottischen Festland getrennt, weil jede Fährverbindung eingestellt worden war, damit sich die Krankheit nicht ausbreitete. Der Schiffsverkehr an der Westküste war damals zum Erliegen gekommen. Auf Duart Castle lebte seinerzeit der alternde Lord Maclean mit seiner Frau und zwei Kindern. Vermutlich war die gräfliche Familie den Pocken ebenso zum Opfer gefallen wie ein Großteil ihrer Lehnsleute. Es hieß, eines der Kinder habe überlebt und verschanze sich seitdem in der Burg. Was für ein trauriges, einsames Dasein. Eine furchtbare Vorstellung, dass jemand entstellt von Narben möglicherweise auf die Menschen bestialisch wirkte. Es wäre eine Erklärung, doch die Dorfbewohner zogen es vor, engstirnig an ihren abergläubischen Geschichten festzuhalten. Sue hatte sich abgewöhnt, mit irgendwem darüber zu diskutieren. Es erschien sinnlos. Sie begriff ohnehin nicht, warum bis heute niemand aus dem Dorf zum Schloss gegangen war, um nach dem Rechten zu sehen.
    Sicher war nur, dass inzwischen jemand auf Duart Castle lebte. Von Zeit zu Zeit tauchte eine schwarze Kutsche im Dorf auf, aus der Diener
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