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Eleanor Rigby

Eleanor Rigby

Titel: Eleanor Rigby
Autoren: Douglas Coupland
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festzustellen, dass ich noch zwei Tage herumkriegen muss, bis die Arbeit wieder losgeht — der schmale, kleine Lichtstrahl zwischen dem Vorhang und dem Fensterrahmen, der mir sagt, dass ich nichts vom Leben habe. Wie sehr ich mich auch bemüht habe, mein Leben zu meistern - oder wie gut mir das manchmal zu gelingen schien —, das Gefühl der Einsamkeit war doch immer die übermächtige Stimmung, die alles prägte und beeinträchtigte.
    Außerdem wurde ich langsam alt.
    Ich glaube, dass alle menschlichen Wesen an einem bestimmten Punkt feststellen, dass sie niemals mehr bekommen werden als das, was sie bereits haben, sei es in Sachen Liebe, Geld oder Macht. Man muss Frieden damit schließen, wer man ist und was aus einem geworden ist. Ich hatte geglaubt, wenn ich Frieden anstelle von Berechenbarkeit wählen würde, wäre das eine einfache, buchhalterische Entscheidung, die mich rasch mit meinem Leben versöhnen würde. Das war töricht, denn dafür bedurfte es einer Kostprobe des Lebens auf der anderen Seite des Spiegels, des Lebens mit Jeremy und des Gefühls, wie es ist, sich um jemanden zu kümmern und jemanden zu haben, der sich um mich kümmert. Indem ich mir während seiner Krankheit einredete, dass es bis zu seinem Tod noch lange hin sei, musste ich mich nicht mit der Einsamkeit auseinandersetzen. Was habe ich mir nur dabei gedacht? Wie verkorkst muss man sein, um Hoffnung im Leiden eines anderen zu finden? War ich nicht besser als Donna?
    Als ich zur Bushaltestelle ging, fühlte ich mich schwach und krank. Ich vermisste Jeremy, und mir graute vor der Aussicht, drei weitere Jahrzehnte, allein hier auf der Erde zu verbringen. Ich wünschte mir, die Türen des Busses würden sich öffnen und er würde in ein tiefes Loch in der Erde stürzen und dort in Vergessenheit geraten.
    Als ich wieder bei Mutter ankam, verspürte ich nichts als Erleichterung, dass ich mich in einer Wohnung befand, in der nun zwei Menschen leben würden und nicht nur einer. Wie war sie bloß all die Jahre allein zurechtgekommen? All das schien ihr nichts auszumachen. Ich zerbrach mir den Kopf darüber und fühlte mich nur noch schlechter. Doch nein - bei Mutter steckt nie etwas anderes hinter dem, was man sieht.
    Gegen sieben kam sie zur Tür herein und sagte: »Alles erledigt.«
    »Was genau ist ›alles ‹ ?«
    »Alles. Ich habe sogar das Bett zusammen mit Jeremys Sachen von deinem Hausmeister unten im Keller einschließen lassen. Alle Medikamente und medizinischen Utensilien habe ich in eine Umzugskiste gepackt und beim Krankenhaus abgegeben. Wenn du reinkommst, merkst du gar nicht mehr, dass außer dir jemals noch eine andere Person da drin gewesen ist.«

~70~
    »Das muss furchtbar gewesen sein.«
    »Vermutlich das Schlimmste, was sie in dem Moment sagen konnte.«
    Klaus und ich spazierten an einem Gewässer mit Schwänen entlang. In Europa weiß man nie, ob ein Gewässer ein See, ein Kanal, ein Fluss, ein Teich oder irgendetwas anderes ist, das es in Nordamerika nicht gibt. Die Sonne schien so herrlich wie in einer Besuchen Sie Wien /-Broschüre von 1968.
    »Fand die Beerdigung am nächsten Tag statt?«
    »Ja.«
    »Und wie war's?«
    »Ein Desaster.«
    »Du bist zu streng mit dir.«
    »Nein, ich meine, es war buchstäblich ein Desaster. Wir hatten nur etwa fünf oder sechs Leute bei der Trauerfeier erwartet uns, den Zwerg und eine ehemalige Freundin von Jeremy, Jane. Aber als wir dort ankamen, saßen bereits ungefähr sechs weitere, primitiv wirkende Leute in den Bänken — drei ältere Ehepaare, auf eine Weise gekleidet, die ein bisschen ... ländlich wirkte.
    Da wir nicht wussten, ob das Jeremys Pflegeeltern waren oder nicht, mussten wir fragen, was ungenehm war. Es stellte sich heraus, dass sie wirklich seine Pflegeeltern waren, und ich konnte nur noch dastehen und sie hassen. Die Frauen wirkten eigentlich ganz nett, und es war schwer, sie sich als so boshaft vorzustellen, wie Jeremy sie geschildert hatte, aber die Männer waren totale Arschlöcher. Ich meine, diese Leute kannten einander auch noch.
    Die Männer redeten und flüsterten die ganze Andacht hindurch, und auf dem Friedhof redeten sie weiter, sogar noch, als der Pfarrer seine Ansprache hielt. Es war Ende Dezember, es regnete in Strömen, dick wie Eisenstangen, und die Erde um den Sarg herum war wie Schokoladenmilch. Meine Aufgabe bei der Andacht bestand darin zu singen, und ich trug ›Amazing Grace ‹ rückwärts vor. Die Männer kicherten. Als William sie bat, leise
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