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Eleanor Rigby

Eleanor Rigby

Titel: Eleanor Rigby
Autoren: Douglas Coupland
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Ich brach das Schweigen ausgerechnet damit, dass ich gähnen musste. Ich entschuldigte mich. »Tut mir leid, das liegt nicht an dir. Das sind die Nachwirkungen der Ereignisse auf dem verdammten Frankfurter Flughafen.«
    Klaus fragte: »Hast du auch in dem Schlamassel da festgesessen?«
    »Das kann man so sagen.«
    Es stellte sich heraus, dass Klaus zu den ungefähr zwei Millionen Menschen gehörte, die in Mitleidenschaft gezogen wurden, als auf dem Flughafen der Weltraumschrott in meinem Koffer gefunden wurde. Er wollte seine Mutter abholen, die auf dem Rückweg von einer botanischen Expedition durch Island Flechten und Moos - in Frankfurt umsteigen musste. Klaus musste dreimal zum Flughafen fahren, bis ihre Maschine eintraf.
    Er schaute mir und Rainer ins Gesicht und wusste, dass etwas Einschneidenderes dahintersteckte als nur ein Engpass auf einem Flughafen. Also erzählten wir ihm von dem Meteoriten und all seinen Auswirkungen. Klaus war entsetzt. Er ist Zahnarzt — er kennt sich mit Alpha-, Beta- und Gammastrahlen aus. »Wer weiß, wie gefährlich die Strahlung war. Welche Telefonnummern haben sie dir gegeben? Welche Unterlagen?«
    »Keine.«
    »Das kann nicht sein. Sie müssen dir doch irgendwas gesagt haben.«
    »Ich fürchte nein.«
    Klaus schaute Rainer an. »Das ist allerdings verwunderlich. Wen kann ich anrufen, um die entsprechenden Telefonnummern herauszufinden?«
    Rainer nickte, und dann durchsuchten die beiden Männer Verzeichnisse und Computerdateien und stellten eine Liste von Namen und Telefonnummern zusammen. Währenddessen versank ich in einem zufriedenen Dämmerzustand. Ich wusste, dass in meinem Unterbewusstsein nicht nur Mist abgelegt war, sondern irgendwo auch eine bedeutsame, glückliche Erinnerung.
    Als die Männer gefunden hatten, was sie suchten, mussten sie mich aus meiner Trance reißen. »Ja ... hallo ...«
    Rainer sagte: »Ich fahre Sie wieder in Ihr Hotel, Liz.«
    Plötzlich geriet ich in Panik. Ich würde einsam und allein in einer leeren Suite in einer fremden Stadt sitzen. Meine Wien-Mission war erfüllt, und nun war ich nur noch ich selbst, ohne irgendwelche verborgenen Geheimnisse. Bei meiner Rückkehr warteten nur meine Wohnung und Landover Communication Systems auf mich.
    Klaus sagte: »Lass uns heute Abend essen gehen, Liz. Das würde mich sehr freuen.«
    Ich sagte ja, und die Panik war weg.

~69~
    Als ich aus dem Badezimmer kam und feststellte, dass Jeremy tot war, setzte ich mich auf einen Stuhl neben dem Bett, das ich ihm im Monat zuvor gekauft hatte. Ich hielt seine Hand, schaute in sein Gesicht und gab eine Art Quieken von mir. Dann dachte ich: Kaum zu glauben — da quiekt jemand. Vor dem Fenster lag ein trister, bewölkter Vormittag - ein Dienstag. Wie sonst auch hörte ich die Geräusche des Lebens anderer Menschen, das weiterging, und ich fühlte mich, als käme ich aus einer anderen Galaxie. Ich musste an Leichen denken, und Vaters Beerdigung fiel mir ein. Er war eingeäschert worden, daher gab es keinen Leichnam, den wir uns hätten anschauen können. Seine Asche kam in einer Versandkiste aus Honolulu bei uns an, und ich fand es total unfair, dass ich die Leiche vorher nicht mehr sehen durfte. Mir fiel wieder ein, wie gern ich mir früher Leichen im Fernsehen angeguckt hatte. Damit war es nun vorbei.
    Ich wusste, dass ich jemanden anrufen musste, aber wen? William, Nancy und die Kinder waren in Disneyland. Leslie und ihre Familie waren in Disney World. Da Mutter nicht ans Telefon ging, rief ich schließlich Dr. Tyson an, und sie kümmerte sich um das Bürokratische — Jeremys Abtransport und den Papierkram.
    Als ich aufgelegt hatte, setzte ich mich wieder neben Jeremy. Ich muss sagen, dass ich mich wie ein Außerirdischer fühlte, der in einem kleinen UFO ungefähr dreißig Zentimeter über der Schulter dieser Frau namens Liz schwebte. Ungefähr eine Stunde lang saß ich da und betrachtete Jeremy inmitten des Stillebens aus leeren Pillenfläschchen, Plastikbechern mit nicht gegessenem Marshmallow-Schokoladenpudding, einem Stapel Modern Farmer-Hefte, mehreren Haufen Decken, zwei Bettpfannen, einer TV-Fernbedienung und der Apparatur für die künstliche Ernährung — und dann traf der Notarztwagen ein und nahm ihn mit. Sobald er weg war, verflüchtigte sich das Gefühl, außerhalb meines Körpers zu stehen. Ich war wieder ganz ich. Ich schaute mich in dem leersten Zimmer der Welt um und wusste, dass ich fliehen musste. Ich schnappte mir eine Einkaufstüte aus
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