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Eleanor Rigby

Eleanor Rigby

Titel: Eleanor Rigby
Autoren: Douglas Coupland
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zu sein, kicherten sie noch lauter und störender. Als William sie erneut bat, leise zu sein, wurden sie ungehalten wie zur Sperrstunde in einer Bar. Dann rutschte einer der Kerle aus und fiel ins Grab. Er landete auf dem Rücken.« »Gott!«
    »Das war was! Eine Verzierung am Griff des Sargs hatte seine Lunge durchbohrt - man musste kein Genie sein, um das zu sehen. Jane rief den Notarzt, und die Frau des Kerls sprang zusammen mit Leslie in das Loch. Leslie hat früher Pflaster für die Ski-Mannschaft ausgegeben, daher musste sie die Krankenschwester spielen. Sie brüllte: ›Nicht anfassen! Wenn er bewegt wird, rutscht der Griff raus. Dann dringt Schmutz ein, seine Lunge fällt in sich zusammen, und er kann nicht mehr atmen. ‹ Sie machte alles nur noch viel schlimmer.
    Ich hatte natürlich aufgehört zu singen, und der Schlamm füllte den Boden des Grabes wie Futter einen Schweinetrog. Es erinnerte mich an das Ende eines Horrorfilms, in dem die Toten diabolisch lachend aus den Gräbern steigen. William fing prompt an, sich mit einem der beiden anderen Männer zu prügeln. Ich weiß noch nicht mal, worum es dabei ging. Da der Kumpel des Mannes sie bloß anfeuerte, ging Mutter dazwischen. Dabei rempelte sie den Kumpel an, und auch der stürzte ins Grab.«
    »Hat deine Mutter ihn geschubst?«
    »Das werde ich nie erfahren.«
    »Was ist dann passiert?«
    »Tränen flössen, und ... es war wirklich äußerst unschön. Jeremy hätte seine Freude daran gehabt.« »Kam die Sache vor Gericht?«
    »Nein. Es war alles bloß ein Unfall - Unhöflichkeit und menschliche Dummheit.«
    »Was geschah nach der Beerdigung?«
    »William und Leslie kehrten jeder in sein Disneydings zurück, und ich zog bei Mutter ein.«
    »Du konntest nicht in deine Wohnung zurückkehren, was?« »Nein.«
    »Das klingt einleuchtend.«
    Es war seltsam, durch dieses Paradebeispiel urbaner Perfektion zu schlendern und dabei an meine kleine rechteckige Bude am anderen Ende der Welt zu denken. All diese Schaufenster, die vor Schönheit, Verlockungen und Schokolade überquollen.
    Klaus fragte: »Und dann?«
    »Mein Chef, der Zwerg, gab mir wieder meinen alten Job. Meine Tage waren also ausgefüllt. Ein paar Wochen lang war ich im Büro die offiziell bemitleidenswerte Person, aber diesen Status verlor ich bald wieder. Da hatte Donna bereits gekündigt, und ich brauchte mich nicht mehr mit ihr abzugeben. Es dauerte drei Monate, bis ich meine Wohnung wieder betreten konnte, und selbst dann musste ich noch William mitnehmen. Er ging vor mir hinein, um Licht zu machen, und rief mich dann herein.«
    »Und?«
    »Ich ging umher, aber ich konnte nichts anfassen. Die Luft war muffig, und es war zu heiß — die Heizung war ganz aufgedreht, aber ich beließ es dabei. Mit der Hitze wollte ich etwas Böses aus den Zimmern vertreiben. Ich schnappte mir ein paar Sachen, die ich brauchte - Strumpfhosen, Blusen und Kosmetika -, und ergriff dann die Flucht. William und ich gingen wochenlang jeden Tag hin, bis ich imstande war, über Nacht dortzubleiben und Frieden mit meinem Schicksal zu schließen. Es dauerte fast ein Jahr, bis ich mich nicht mehr davor gruselte, nach Hause zu gehen. Das ist jetzt sechs Jahre her.«

~71~
    Als Klaus so vor mir saß, musste ich daran denken, dass ich von einem Mann, der die Visionen verloren hatte, die ihm den Weg wiesen, bei einem anderen landete, dem dasselbe Schicksal widerfahren war. »Klaus, würdest du wirklich nicht in Betracht ziehen, wieder zu dem Mann zu werden, der du vor dieser neuen Zwangsneurosenpille warst?«
    Klaus wirkte bestürzt. »Großer Gott, nein.«
    »Warum nicht?« Wir waren bei unserem dritten Essen. Das ist offenbar alles, was die Menschen in Wien machen - essen und zwischen den Mahlzeiten Zeit verstreichen lassen. Aber ich will mich gar nicht beschweren. Ich musste ein wenig Zeit totschlagen, bis Dr. Vogel mir all die Strahlendaten des Meteoriten aus Deutschland schickte.
    »Liz, wenn ich mir den Mann anschaue, der ich noch vor einem Monat war, wird mir ganz übel.«
    Klaus aß gerade Thymusdrüsen (ja, Bries) auf der Dachterrasse eines Restaurants, das vor Nicht-Österreichern gut versteckt war. Es war eine junge, warme Nacht, und der Sitzbereich wurde von Hunderten kleiner weißer Lichterkettenlämpchen beleuchtet, die überall in den Bäumen und in der Luft über uns hingen.
    Klaus sagte: »Wegen meiner Zwangsstörung hatte ich nie eine richtige Freundin, geschweige denn eine Frau. Außerdem konnte ich keine
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