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Eleanor Rigby

Eleanor Rigby

Titel: Eleanor Rigby
Autoren: Douglas Coupland
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weißem Plastik, stopfte ein paar Waschsachen, ein Kleid und ein paar Blusen hinein und fuhr zu Mutter. Sie kam gerade vom Einkaufen zurück. Als ich vor ihrem Haus hielt, wusste sie, was los war.
    Mutters Art, Dinge zu bewältigen, besteht darin, sich irgendeine mittelschwere Aufgabe zu suchen und sich dann hineinzustürzen, als ginge es um ihr Leben. In diesem Fall war das Jeremys Beerdigung. Das hatte ihr schon bei Vaters Tod geholfen, und es würde ihr auch ermöglichen, mit diesem fertigzuwerden. Der Rest der Familie wurde erst nach Weihnachten aus dem Urlaub am Sunbelt zurückerwartet. Mutter führte sich am Telefon wie eine Löwin auf: »Dein Neffe, mein Enkelsohn, wird nicht in einem Tiefkühlschrank versauern, nur damit du und Leslie am Magic Mountain oder an dem verdammten Jacuzzi von Tinkerbell Schlange stehen könnt. Die anderen können dableiben, aber du, William, und du, Leslie, ihr kommt nach Hause. Und: Ja, eure Schwester bezahlt.« Schließlich kehrten Leslie und William dann doch zur Trauerfeier am 27. Dezember heim.
    Mutter organisierte die Beerdigung und setzte eine Todesanzeige in die Vancouver Sun. Wir fragten uns beide, wen die Anzeige wohl alles aufscheuchen würde — vielleicht einige von den Menschen aus Jeremys früherem Leben, ein paar Mitglieder seiner Adoptivfamilien. Wir versuchten Kayla vom Sozialdienst anzurufen, aber die hatten geschlossen.
    Mutter kaufte einen Sarg, der aussah wie der letzte Wunsch eines sterbenden Zuhälters: ein Ungetüm in Rotbraunmetallic mit Zierleisten aus Eiche, einem Kühlergrill aus Chrom, Lederverkleidung und, einer Kühlerfigur. Es war eine nette Geste, wenn auch eine seltsame. »Als ich auf deiner Geburtstagsparty letzten Monat ein Glas Rotwein getrunken habe, meinte er, der hätte so eine schöne Farbe, wenn das Licht der Küchenlampe hindurchscheint. Deshalb wollte ich einen Sarg in dieser Farbe finden. Ich glaube, diese hier kommt dem ziemlich nahe.« Das stimmte.
    Weihnachten fand in jenem Jahr nicht statt. Das hätte keinen Sinn gehabt. Am ersten Weihnachtstag kam ich ein bisschen wieder zu mir und begann langsam, die Beherrschung zurückzugewinnen. Dennoch wurde mir bei dem Gedanken an meine Wohnung ganz anders. Mutter musste hinfahren und meine Sache holen, was sie ärgerte. Als wir schon fast da waren, hob sie zu einem ihrer Vorträge an: »Weißt du, Elizabeth, es hätte durchaus seine Vorteile, wenn du einfach dortbleiben würdest. In deiner eigenen Wohnung wirst du dich wieder etwas normaler fühlen.«
    »Ich will mich nicht normal fühlen. Und in meiner Wohnung gruselt es mich. Park bitte woanders.« »Jetzt bist du aber melodramatisch.«
    Mutter bog links in meine Straße ein, und beim Anblick des Gebäudes, in dem ich wohne, krampfte sich mein Magen zusammen.
    »Elizabeth, komm mit hoch und hüf mir, deine Sachen zusammenzupacken.« »Nein.«
    »Immer bin ich diejenige, die sich um alles kümmern muss.«
    »Ja, Mutter, tu das.« Ich blieb im Wagen und starrte finster in die Rhododendren auf der anderen Straßenseite, wo eine rotgetigerte Katze auf eine unsichtbare Beute zuschlich.
    Meine Wohnung erinnerte mich daran, wie ich mein Leben nicht haben wollte. Ich dachte zurück an die Zeit, als ich ein Einzel- und kein französisches Doppelbett gehabt hatte. Was hätte das für einen Eindruck gemacht, wenn ich jemals jemanden mit nach Hause genommen hätte?
    Ich saß da und dachte an diesen Rat meines toten Sohnes, als Mutter ans Fenster klopfte. »Ich werde deine Wohnung wieder in den Normalzustand versetzen.«
    »Was?«
    »Irgend jemand muss es ja tun.« »Warum jetzt?«
    »Weil es gemacht werden muss, und wenn ich es dir überlasse, wird doch nichts daraus.«
    »Interessiert mich nicht.«
    Mutter musste sich sehr zusammennehmen. »Ich werde mehrere Stunden hierbleiben, also bleib entweder im Auto sitzen oder mach, was du willst.«
    Wütend stürmte sie zurück ins Haus. Ich stieg aus dem Wagen, ging ein Stück und nahm einen Bus zu Mutters Wohnung.
    Man braucht nicht viel Grips, um zu ahnen, dass die Angst vor meiner Wohnung in Wirklichkeit die Angst davor war, wieder einsam zu sein. Bis zu dem Moment, als Jeremys Leichnam abgeholt wurde, hatte ich völlig vergessen, was Einsamkeit war. Ich hatte das vergessen, was ich mehr als alles andere verabscheue den Geschmack von Galle in meiner Kehle, wenn mir klar wird, dass der Abend näher rückt und ich noch nichts vorhabe. Ich hatte auch vergessen, wie es ist, samstagmorgens aufzuwachen und
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