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Eleanor Rigby

Eleanor Rigby

Titel: Eleanor Rigby
Autoren: Douglas Coupland
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ein immer feineres Sieb gefiltert, um die schmerzlichen und unangenehmen Aspekte auszusortieren, die mir Kummer bereiteten: dumme Ideen, sinnlose Gewohnheiten, eingefahrene Denkweisen. Wie jeder andere auch wollte ich herausfinden, ob mein Leben je einen Sinn ergeben oder sich sogar wie eine Geschichte anfühlen würde. Durch Hale-Bopp wurde mir klar, dass ich vom Leben nicht mehr erwarten konnte als das, was es mir bereits bot, auch wenn eigentlich gar nichts daran auszusetzen war. Wenn ich das jetzige Gleichgewicht nur noch ein paar Jahrzehnte lang halten würde, konnte mich der Leichenbestatter später in einem Torfmoor versenken, ohne dass ich auch nur einmal völlig durchgedreht wäre.
    Die radikale Veränderung trat ein, als ich mit Das letzte Ufer, Bambi, Zeit der Zärtlichkeit, Schlagende Wetter und Der Garten der Finzi-Contini unterm Arm auf dem Parkplatz der Videothek stand und zu dem Kometen hinaufstarrte. Ich beschloss, dass ich von nun an nicht mehr Sicherheit vom Leben wollte, sondern Frieden. Ich wollte nicht mehr versuchen, alles im Griff zu behalten — es war Zeit, sich treiben zu lassen. Mit dieser einen Entscheidung fiel das Kettenhemd, das ich mein ganzes Leben lang getragen hatte, von mir ab, und ich war leicht wie eine Möwe. Ich hatte mich befreit.

~2~
    Natürlich sind wir bei unserer Geburt allein, und nach unserem Tod kommen wir zu allen anderen Lebewesen, die je existiert haben - und existieren werden. Wenn ich tot bin, bin ich nicht mehr einsam. Ich werde Teil einer großen Gemeinschaft. Manchmal, wenn im Büro die Telefone gerade nicht klingeln, ich meinen täglichen Papierkram erledigt habe und mein Chef, der Zwerg, noch Mittagspause macht, sitze ich an meinem durch brusthohe salbeigrüne Stellwände abgeteilten Arbeitsplatz und tröste mich damit, dass ich mich schließlich auch nicht daran erinnere, wo ich vor meiner Geburt war - warum sollte ich also Angst davor haben, wohin ich nach meinem Tod komme?
    Solltet ihr jedenfalls einmal diese Legebatterie, die sich Landover Communication Systems nennt, betreten, würdet ihr mich vermutlich gar nicht bemerken, egal ob ich nun gerade in einen Tagtraum versunken bin oder etwas anderes mache. Vor langer Zeit schon habe ich gelernt, mich unsichtbar zu machen. Ich ziehe mich in mich selbst zurück, und meine Augen werden trüb und leer. Zu meinen Lieblingsszenen im Fernsehen gehören die, in denen ein Darsteller in einem Sarg oder, was eine noch größere schauspielerische Herausforderung darstellt, in steriles weißes Licht getaucht auf dem Edelstahltisch in der Pathologie liegt und eine Leiche spielt. Hab ich da ein Augenlid flattern sehen?
    Hat nicht der Wangenmuskel gerade gezuckt? Hebt und senkt der Brustkorb sich nicht kaum merklich? Ist es einfach nur beknackt, dass ausgerechnet solche Dinge mich so faszinieren, oder ist es krank?
    Momentan bin ich allein, und das war ich auch, als ich an jenem Abend auf dem Parkplatz meinen ersten Kometen sah, den Kometen, der die Bürde meines Lebens leichter machte. Danach war ich so aufgekratzt, dass ich die ausgeliehenen Videos auf die Rückbank meines Honda pfefferte und einen Spaziergang am Ambleside Beach machte. Ausnahmsweise schaute ich mal nicht wehmütig all den Pärchen, Eltern und Familien hinterher, die zurück zu ihren Autos gingen, und auch nicht den Teenagern, die gerade eintrafen, um die ganze Nacht zwischen angeschwemmten Baumstämmen im Sand zu saufen, Drogen zu nehmen und zu vögeln.
    Ein Komet!
    Der Himmel!
    Ich!
    Ein strahlender Vollmond stand am Himmel - er schien so hell, dass ich in seinem Licht am liebsten ein Kreuzworträtsel gelöst hätte, nur um zu sehen, ob es funktionierte. Ich zog meine Laufschuhe aus, nahm sie in die Hand und spazierte in die Gischt hinein, den Blick nach Westen auf Vancouver Island und den Pazifik gerichtet. Ein alter Zeichentrickfilm mit dem Roadrunner und dem Kojoten fiel mir ein — der, in dem der Kojote den stärksten Magneten der Welt kauft. Als er ihn einschaltet, sausen Hunderte von merkwürdigen Gegenständen quer durch die Wüste auf ihn zu: Blechdosen, Schlüssel, Konzertflügel, Geld und Waffen. Es kam mir vor, als hätte auch ich so einen Magneten aktiviert und brauchte nur abzuwarten, was über die Meere und Wüsten auf mich zugeflogen käme.

~3~
    Ich heiße Liz Dunn. Ich war nie verheiratet, bin Rechtshänderin und habe tiefrote, widerspenstige Locken. Vielleicht schnarche ich, vielleicht auch nicht — es hat nie jemanden gegeben, der
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