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Eleanor Rigby

Eleanor Rigby

Titel: Eleanor Rigby
Autoren: Douglas Coupland
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mir das hätte sagen können. Dass ich mir an dem Abend, als ich Hale-Bopp zum ersten Mal sah, derart rührselige Filme auslieh, hatte seinen Grund. Am nächsten Morgen musste ich mir die beiden unteren Weisheitszähne ziehen lassen — zwei große, popcornförmige Ungetüme, die sich erst in fortgeschrittenem Alter entschlossen hatten, sich auf die Seite zu legen und meine Backenzähne zu bedrängen. Immerhin war ich schon sechsunddreißig. Die folgende Woche hatte ich freigenommen, und nun traf ich die entsprechenden Vorbereitungen: Götterspeise, Dosenfraß und Brühe. Die Videos waren Teil eines Schmonzetten Festivals, das ich ganz für mich allein veranstalten wollte. Wenn die Schmerzmittel mir den Verstand vernebelten, wollte ich die Zügel lieber selbst in der Hand halten. Mir stand der Sinn danach, mir hemmungslos die Augen aus dem Kopf zu heulen, und zwar sieben Tage am Stück.
    Am nächsten Morgen brachte Mutter mich in die kieferchirurgische Klinik in der Fell Avenue. Ihr Leben war zwar genauso unausgefüllt wie meins, aber sie tat so, als hätte sie die Entgegennahme ihres Nobelpreises verschieben müssen, damit sie mich fahren konnte. »Weißt du, eigentlich war ich heute mit Sylvia zum Essen verabredet. Der Hundetransportkorb, den sie für Empress gekauft hat, ist innerhalb der ersten fünf Minuten kaputtgegangen, und diese Frau ist so willensschwach, dass ich sie zu Petcetera begleiten und den bösen Cop für sie spielen muss, wenn sie ihn. zurückbringt.«
    »Ich hätte ja ein Taxi genommen, wenn es erlaubt wäre, Mutter, aber man muss sich nun mal von einem Angehörigen oder einem Freund abholen lassen. Das weißt du doch.«
    Meine Mutter hatte es schon vor Jahrzehnten aufgegeben, wegen meines Mangels an Freunden mit mir zu schimpfen. Sie sagte: »Empress ist ein ganz süßer Hund.«
    »Wirklich?« Aus eigener Erfahrung wusste ich, dass Empress eine hysterische, kläffende, neurotische Nervensäge war.
    »Du solltest dir auch einen Hund zulegen, Elizabeth.«
    »Ich bin allergisch dagegen, Mutter.«
    »Wie wär's mit einer hypoallergenen Züchtung, einem Pudel?«
    »Hypoallergene Hunde sind ein Märchen.«
    »Ja?«
    »Ja. Man kann die Reaktionen minimieren, aber das.ist auch schon alles. Und dabei ist nicht nur das Fell ein Problem, sondern auch Hautschuppen, Speichel und Urin.«
    »Entschuldige bitte, dass ich versucht habe, dir zu helfen.«
    »Mit dem Thema Haustiere habe ich mich schon vor langer Zeit auseinandergesetzt, Mutter. Das kannst du mir glauben.«
    Das Gespräch fand ein rasches Ende, als wir an der Klinik ankamen, einem achtgeschossigen Gebäude aus den sechziger Jahren. Es war eines dieser Häuser, an denen ich schon tausendmal vorbeigefahren bin, ohne sie zu bemerken, eine Art architektonische Ausgabe meiner selbst. Drinnen war es kühl, und es roch nach Reinigungsmitteln. Die Schrift auf dem TÜREN-SCHLIESSEN-Knopf im Aufzug war fast völlig abgerieben. Ich wies Mutter daraufhin und sagte: »Ich wette, in diesem Gebäude sitzen auch ein paar Psychiater.«
    »Wie kommst du. darauf?«
    »Guck dir mal den Knopf an.«
    »Und?«
    »In der Aufzugsbranche wird der TÜREN SCHLIESSEN Knopf auch als Beruhigungsknopf bezeichnet. Er wird nur deshalb eingebaut, um einem die Illusion zu geben, dass man die Fahrt selbst unter Kontrolle hat. Meistens ist er gar nicht angeschlossen.«
    »Ich finde immer noch, du solltest dir einen Hund anschaffen.«
    Ich muss zugeben, dass ich ein Faible für Krankenhäuser, Kliniken und jegliches medizinisches Ambiente habe. Man tritt ein, setzt sich auf einen Stuhl, und plötzlich fällt die ganze Last des Am-Leben-bleiben-Müssens einfach von einem ab — dieses ewige Grübeln, Hinterfragen und das unablässige kurzfristige Planen, das das Leben einsamer Menschen begleitet.
    Den Arzt, der an jenem Tag Dienst schob, hatte ich noch nie gesehen. Es war ein jovialer Australier, der selbst meinem traurigen Gesicht unter der Lachgasmaske noch Witze erzählte und gute Laune verströmte.
    »Wo sind Sie eigentlich zur Schule gegangen, Lizzie?«
    »Liz. Hier in North Vancouver — Carson Graham war meine Highschool.«
    »Ah ja! Und danach?«
    »O Gott. Das British Columbia Institute of Technology. Rechnungswesen.«
    »Na, fabelhaft. Wurde da oft Party gemacht?«
    »Was?« Der Anästhesist drückte die Maske fester auf mein Gesicht.
    »Sie wissen schon. Auf die Pauke gehauen. Ein Fass aufgemacht.«
    »Mein Leben ist doch keine Bierwerbung ...«
    Dann verlor ich das
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