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Eleanor Rigby

Eleanor Rigby

Titel: Eleanor Rigby
Autoren: Douglas Coupland
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Bewusstsein. Als ich eine Sekunde später die Augen wieder aufschlug, war der Raum bis auf eine Schwester, die gerade die letzten Teile des OP-Bestecks wegräumte, leer. Ich hatte das Gefühl, mein Mund sei voller Sand. Ich musste lächeln. Es war grandios gewesen, so völlig außer Gefecht gesetzt zu sein - eben hat man es noch mit einem australischen Komiker zu tun, und im nächsten Moment ist man ... weg. Noch ein Grund, keine Angst mehr vorm Tod zu haben.
    Meine Konversation mit Mutter bestand auf der Heimfahrt  vor allem darin, dass sie seufzte und ich wie ein ferner Radiosender vor mich hin murmelte. Sie setzte mich vor meiner Wohnung ab, und bevor sie zu Petcetera losbrauste, sagte sie: »Jetzt solltest du aber wirklich mal über einen Hund nachdenken, Elizabeth.«
    »Hör auf, Mutter.«
    Es war ein heißer, trockener Tag. August. Vor der Haustür roch es nach sonnendurchwärmtem Zedernrindenmulch und schlecht bewässerten Wacholdern. Drinnen war es kühl, und es miefte nach dem verrottenden Nylonteppich in. der Lobby. Als ich drei, Etagen höher in meiner Wohnung angekommen war, hatte ich das befremdliche Gefühl, einen Film über ein unbewohntes Zimmer zu sehen. Nichts darin bewegte sich oder zeigte an, wie die Zeit verging - keine Pflanzen oder Uhren -, und ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich so viel unsichtbares Filmmaterial vergeudete, schämte mich dafür, dass meine Wohnung so langweilig war. Doch andererseits hat die richtige Art von Langeweile oft etwas Friedliches, und Frieden war meine neue Lebenseinstellung. Sich einfach treiben lassen.
    In meinem Kopf pochte es, und ich ging ins Schlafzimmer und legte ihn auf ein kühles Kissen. Als das warm wurde, drehte ich die kühle Seite nach oben, und dann schlief ich ein. Als ich aufwachte, war die Sonne schon untergegangen, aber am Himmel über dem Berg war noch etwas Licht und Farbe zu sehen. Ich fluchte, weil ein Nachmittagsschläfchen immer eine nicht enden wollende Nacht zur Folge hat. Dann berührte ich mein Gesicht: Beide Seiten waren geschwollen, als hätte ich Mumps. Ich ließ mich wieder auf die Matratze sinken und erkundete mit der Zunge die beiden frischen, salzigen, blutigen Höhlen mit den piksigen Fäden darin.

~4~
    Die Liz Dunns dieser Welt heiraten, und dann legen sie sich dreiundzwanzig Monate nach der Hochzeit und der Geburt ihres ersten Kindes eine vernünftige, pflegeleichte Frisur zu, die sie für immer und ewig behalten. Liz Dunns belegen Kurse in Croissant-Backen und würden eher auf Fußbällen herumkauen, als ihren Kindern kein Müsli zu essen zu geben. Sie besitzen genau ein Sex-Spielzeug, und wenn sie es benutzen, träumen sie von einem Cowboy. Nein, nicht von einem Cowboy - eher von einem Typen, der Holzdecks baut, teure Designerdecks mit darin eingelassenen Multijet-Whirlpools ... einem Typen, der einer solchen Liz notfalls stundenlang helfen würde, die richtige Fugenkittfarbe für die neuen Fliesen im Gästezimmer auszusuchen.
    Ich jedoch werde meinem Namen nicht gerecht: Ich bin weder ständig gut drauf noch häuslich. Ich bin unscheinbar, mürrisch und habe keine Freunde. Meine Tage sind von dem ständigen Kampf darum ausgefüllt, mir meine Würde zu bewahren. Einsamkeit ist mein Fluch — der Fluch unserer gesamten Spezies. Sie ist die Pistole, deren Kugeln uns auf den Dielen eines Saloons tanzen lassen und uns dazu bringen, uns vor Fremden zu erniedrigen.
    Woher kommt die Einsamkeit? Ich nehme mal an, das hat etwas mit dem Lotteriespiel, das sich Familie nennt, zu tun — der Vater ist Säufer, die Mutter leidet an Agoraphobie; man ist Einzelkind, mittleres Kind, Erstgeborenes; Mutter hat ewig was zu meckern, Vater betrügt beim Golfspielen ... ich meine, was für ein Elternhaus habt ihr denn abgekriegt? Ihr seid hier. Ihr lest diese Zeilen. Ist das Zufall? Vielleicht denkt ihr, Schicksal sei etwas, das nur andere betrifft. Vielleicht schämt ihr euch, ein Buch über die Einsamkeit zu lesen, womöglich ertappt euch jemand dabei, und dann kennt er euren heimlichen wunden Punkt. Andererseits wisst ihr vielleicht auch gar nicht genau, was Einsamkeit ist - das ist durchaus verbreitet. Wir schädigen unsere Kinder fürs ganze Leben, indem wir ihnen nichts von der Einsamkeit mit all ihren Zwischentönen, Schattierungen und Implikationen erzählen. Sie trifft uns wie ein Hammerschlag, meist dann, wenn wir von zu Hause ausziehen. Dann wissen wir gar nicht, wie uns geschieht. Wir halten uns für krank, schizoid,
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