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Eleanor Rigby

Eleanor Rigby

Titel: Eleanor Rigby
Autoren: Douglas Coupland
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Kuss zu. »Bis später. Sei brav.«
    Danach blieb es still im Zimmer. Nancy brach, pragmatisch wie immer, das beklommene Schweigen und sagte: »Lasst uns einfach den verdammten Kuchen anschneiden.« Die beiden Jungs stritten darum, wer die Kerzen anzünden durfte. Der Moment war vorbei.
    Ich stellte den Videorecorder aus. »Es gibt noch mehr. Wir haben ein Karaoke-Marathon veranstaltet. Williams Kinder können auch ein bisschen rückwärts singen. Er selbst kann es gar nicht.«
    Rainer sagte: »Ich ziehe Ihnen nachher eine Kopie davon.« , Klaus wiegte sich sacht vor und zurück. Rainer ging hinaus, und ich setzte mich neben Klaus auf einen Drehstuhl. »Rainer hat mir gar nicht gesagt, ob du Kinder hast. Hast du?«
    Er war nur noch ein Häufchen Elend. »Nein.«
    »Warst du je verheiratet?«
    »Ich? Nein. Schön war's, aber meine Zwangsneurosen haben die jungen Hühner stets in die Flucht geschlagen.«
    Stille, und dann fragte er, ob er sich das Video noch einmal allein anschauen dürfe. Ich ging hinaus.

~68~
    Vor ein paar Jahren habe ich angefangen, gelegentlich in der Cafeteria des Krankenhauses Mittag zu essen. Das Essen war ganz passabel, aber vor allem ging es mir darum, die Menschen zu beobachten und herauszufinden, welche inneren Dramen die Gäste belasteten. Diese Beschäftigung half mir, mein ansonsten undramatisches Leben um 3,7 Prozent interessanter zu machen. Ich erwähne das nur, weil Klaus mich, als er eine halbe Stunde später aus dem Raum mit dem Fernseher kam, an die Leute in Krankenhaus-Lobbys erinnerte — die Körpersprache der Fassungslosigkeit, die offensichtlich aufgewühlte Seele, der starre Blick, den Hilflosigkeit hervorruft. Rainer rief ihn zu sich ins Büro.
    Inzwischen hatte Klaus eins und eins zusammengezählt und begriffen, warum ich nach Osterreich gekommen war. Er sagte: »Du glaubst, ich hätte dich vergewaltigt, nicht wahr?«
    »Ich ... habe wirklich keine Ahnung.«
    »Du weißt nicht mehr, was passiert ist?«
    »Nein.« Wieder trat Stille ein. Dann sagte ich: »Bitte. Erzähl's mir.«
    Er sagte: »Ich bezweifle, dass es das ist, was du denkst. Wir sind auf das Dach dieser grauenhaften Discothek gestiegen ... zu mehreren .... ungefähr zu acht.Wir waren alle ein bisschen angesäuselt, aber du warst noch viel betrunkener als wir.« »So weit erinnere ich mich.«
    »Meine Freunde führten sich wie alberne Teenager auf. Sie spuckten und warfen Böller auf die Straße. Ich hätte vermutlich mitgemacht, aber du warst betrunkener, als ich gedacht hatte. Ich hab mir Sorgen um dich gemacht. Meine Freunde beschimpften mich als Weichei, Windelscheißer und so was. Sie wollten wieder nach unten gehen und deine Freundinnen aufreißen, und daher ließen sie uns allein. Ich überlegte, wie ich dich nach unten schaffen sollte, aber das war nicht leicht. Das Dach war nicht einfach flach — überall lagen Rohre, Metallkisten und Drähte herum. Und du warst ziemlich ...«
    »Ich bin ziemlich schwer, Klaus. Das lässt sich nicht leugnen.«
    »Ja, also ... ich wollte, dass du mir etwas von dir erzählst. Du hast gesagt, du kämst aus Vancouver und wärst das einsamste Mädchen der Welt. Du hast gesagt, du wärst es so leid, einsam zu sein. Du hast gesagt, deine Lieblingsbeschäftigung wäre es, in die Häuser fremder Leute einzubrechen, dort herumzusitzen und nichts zu tun — einfach nur herumzusitzen. Für mich war das das Traurigste, was ich je gehört hatte.«
    Ich biss mir auf die Oberlippe.
    »Du warst irgendwie durchgeknallt, und ich glaube, diese Seite von dir sehen die Leute nicht sehr oft. Trinkst du?«
    Auf diese Frage hin zog Rainer eine Augenbraue hoch, aber ich wusste, worauf Klaus hinauswollte. »Nein. Du weißt doch genau, was dann mit mir passiert.«
    »Okay. Du bist also irgendwie ausgeflippt, und du hast mich gebeten, dich zu küssen. Das hab ich gemacht. Du hast gesagt, es sei dein allererster Kuss gewesen, und ich war glücklich, dass ich jemandem zu einer so schönen Erinnerung verhelfen konnte. Aber dann wolltest du mehr als nur küssen, und wir waren auf dem Dach, und das Kolosseum war direkt vor unserer Nase, und wir waren in Rom, und - wir haben es eben getan. Es war schön. Ich glaube, es hat dir gefallen. Für mich war es nicht das erste Mal, aber ich wünschte, das wäre es gewesen. Es war romantisch. Es tut mir leid, dass du dich nicht daran erinnerst.« »Mir auch.«
    Mehr gab es zu dem Thema nicht zu sagen. Der Fall war abgeschlossen, für mich ebenso wie für Rainer.
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