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Eiszeit

Eiszeit

Titel: Eiszeit
Autoren: Dean R. Koontz
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zugebunden hatte, und dicke Handschuhe. Bei diesem grausamen Wetter war die Körperwärme wichtiger als die Beweglichkeit; Unbeholfenheit, Plumpheit und Unbehagen waren der Preis für Überleben.
    Obwohl ihr Körper ausreichend geschützt war, ließen der bitterkalte Wind und die öde Landschaft Rita gefühlsmäßig frösteln. Freiwillig hatten sowohl sie als auch Harry einen Großteil ihres Berufslebens in der Arktis und der Antarktis verbracht; doch sie teilte nicht Harrys Liebe zu den riesigen, offenen monochromatischen Flächen, der gewaltigen Krümmung des Himmels und den urtümlichen Stürmen. In Wirklichkeit war sie in erster Linie wiederholt in diese Polarregionen zurückgekehrt, weil sie Angst vor ihnen hatte.
    Seit dem Winter, in dem sie sechs Jahre alt geworden war, hatte Rita sich standhaft geweigert, sich irgendeiner Furcht zu ergeben, nie wieder, ganz gleich, wie gerechtfertigt sie gewesen wäre ...
    Als sie sich nun dem Iglu am westlichen Ende des Lagers näherte und der Wind ihr in den Rücken hämmerte, erlitt sie plötzlich eine so starke phobische Reaktion, daß sie fast auf die Knie gesunken wäre. Kryophobie: die Furcht vor Eis und Frost. Frigophobie: die Furcht vor Kälte. Chionophobie: die Furcht vor Schnee. Rita kannte diese Begriffe, weil sie an leichten Ausprägungen aller dieser Ängste litt. Die häufige Konfrontation mit den Ursachen ihrer Ängste hatte — wie Impfungen gegen Grippe — dafür gesorgt, daß sie normalerweise nur leichtes Unbehagen und Unruhe, selten aber nacktes Entsetzen empfand. Manchmal jedoch überwältigten sie Erinnerungen, gegen die noch so viele Impfungen keinen Schutz bieten konnten. Wie jetzt zum Beispiel. Der stürmische weiße Himmel schien sich mit der Geschwindigkeit eines herabfallenden Steins zu senken, unaufhörlich auf sie zu drücken, als hätten die Luft und die Wolken und der flach liegende Schnee sich wie durch Zauberei in eine gewaltige Marmorplatte verwandelt, die sie in die unnachgiebige, gefrorene Erde drücken würde. Ihr Herz hämmerte hart und schnell, dann viel härter und schneller als zuvor, dann noch schneller, bis sein wahnwitziger Rhythmus so laut in ihren Ohren trommelte, daß er das zänkische Stöhnen des Windes übertönte.
    Vor dem Eingang des Iglus blieb sie breitbeinig stehen; sie weigerte sich, vor dem zu fliehen, was ihr solche Angst machte. Sie hatte den Anspruch, die Einsamkeit dieses verlassenen und in Dunkelheit gehüllten Reichs zu ertragen, wie jemand, der eine irrationale Angst vor Hunden hat, sich vielleicht zwingt, diese Tiere zu streicheln, bis die Panik nachläßt.
    Diese Einsamkeit war in der Tat die Eigenschaft der Arktis, die Rita am meisten zu schaffen machte. Seit ihrem sechsten Lebensjahr setzte sie in ihrem Verstand den Winter unausweichlich mit der ängstlichen Besorgnis der Sterbenden gleich, mit den grauen und verzerrten Gesichtern von Leichen, mit den frostüberzogenen Blicken von toten Augen, mit Friedhöfen und Gräbern und erstickender Verzweiflung.
    Sie zitterte so heftig, daß der Strahl ihrer Taschenlampe über den Schnee zu ihren Füßen zappelte.
    Sie wandte sich von dem aufblasbaren Zelt ab, hielt das Gesicht aber nicht in den Wind und betrachtete die schmale Ebene, die zwischen dem Plateau und der Eisauffaltung lag. Ewiger Winter. Ohne Wärme, Trost oder Hoffnung.
    Es war ein Land, das dem Menschen Achtung abverlangte, ja, natürlich. Aber es war kein Ungeheuer, hatte kein Bewußtsein, hegte nicht die bewußte Absicht, ihr Schaden zuzufügen.
    Durch ihre Strickmaske atmete sie tief und rhythmisch ein.
    Um ihre irrationale Furcht vor der Eishülle zu unterdrücken, sagte sie sich, daß in dem Iglu neben ihr ein viel größeres Problem auf sie wartete. Franz Fischer.
    Sie hatte Fischer vor elf Jahren kennengelernt, kurz nachdem sie ihren Doktor gemacht und ihre erste Forschungsstelle bei einer Abteilung von International Telephone and Telegraph angenommen hatte. Franz, der ebenfalls für ITT gearbeitet hatte, war attraktiv und nicht ohne Charme, wenn er sich einmal entschloß, ihn auszuspielen. Sie waren fast zwei Jahre lang zusammengewesen. Es war keineswegs eine ruhige, entspannte und liebevolle Beziehung gewesen, aber zumindest hatte sie sich nicht gelangweilt. Sie hatten sich vor neun Jahren getrennt, als ihr erstes Buch erschienen war. Damals war ihr klargeworden, daß Franz sich mit einer Frau, die ihm beruflich und intellektuell gleichwertig war, niemals wohl fühlen würde. Er wollte
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