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Eiszeit

Eiszeit

Titel: Eiszeit
Autoren: Dean R. Koontz
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dominieren, und sie wollte sich nicht dominieren lassen. Sie hatte ihn verlassen, Harry kennengelernt, ihn ein Jahr später geheiratet und kaum mehr auf ihre frühere Liebschaft zurückgeblickt.
    Da er nach Franz in Ritas Leben getreten war, war der stets wohlwollende und vernünftige Harry der Ansicht, daß ihre Vergangenheit ihn nichts anging. Er war sich seiner Ehe und seiner selbst sicher. Daher hatte er, obwohl er von der Vorgeschichte wußte, Franz sogar als Chefmeteorologen der Station Edgeway angeworben — ganz einfach, weil der Deutsche der beste Mann für diese Aufgabe war.
    In diesem einen Fall wäre Harry — und seinen Kollegen — unvernünftige Eifersucht jedoch dienlicher gewesen als Vernunft. Die zweitbeste Möglichkeit wäre vorzuziehen gewesen.
    Neun Jahre nach ihrer Trennung spielte Franz noch immer den verschmähten Liebhaber und zog alle Register, einschließlich der schmollenden Oberlippe und des traurigen Blicks in den Augen. Er war weder kalt noch unhöflich; ganz im Gegenteil, er versuchte den Eindruck zu erwecken, daß er des Nachts in der einsamen Zurückgezogenheit seines Schlafsacks ein gebrochenes Herz hegte und pflegte. Er erwähnte die Vergangenheit nie, zeigte kein ungebührliches Interesse an Rita und war stets der vollendete Gentleman. Doch in der Enge eines polaren Vorpostens war die Art, wie er seinen verletzten Stolz zur Schau trug, auf ihre Weise genauso störend, wie es lauthals gebrüllte Beleidigungen gewesen wären.
    Der Wind ächzte, der Schnee wirbelte um sie herum, und das Eis erstreckte sich, soweit das Auge sah, wie es das schon seit unvordenklichen Zeiten tat — doch allmählich senkte ihr rasender Herzschlag sich auf eine normale Geschwindigkeit. Sie hörte auf zu zittern. Das Entsetzen ging vorüber.
    Sie hatte erneut gewonnen.
    Als Rita den Iglu endlich betrat, kniete Franz auf dem Boden und packte Instrumente in einen Karton. Er hatte die äußeren Stiefel, den Mantel und die Handschuhe ausgezogen. Er wagte es nicht, sich in Schweiß zu arbeiten, denn dann würde seine Haut sogar in seinem Thermalanzug abkühlen, und er würde wertvolle Wärme verlieren, wenn er wieder vor die Tür ging. Er schaute zu ihr hoch, nickte und machte mit dem Packen weiter.
    Er hatte einen gewissen animalischen Magnetismus, und Rita verstand, warum sie damals von ihm angezogen worden war. Dichtes blondes Haar, tiefliegende dunkle Augen, nordische Gesichtszüge. Er war einsfünfundsiebzig groß, nur ein paar Zentimeter größer als sie, aber mit fünfundvierzig Jahren war er so muskulös und schlank wie ein Junge.
    »Der Wind hat auf sechsunddreißig Stundenkilometer aufgefrischt«, sagte sie, schob die Kapuze zurück und nahm die Brille ab. »Die Lufttemperatur beträgt minus dreizehn Grad, Tendenz fallend.«
    »Bei dem starken Wind wird sie minus zwanzig Grad oder noch weniger betragen, wenn wir das Lager abbrechen.« Er schaute nicht auf. Er schien mit sich selbst zu sprechen.
    »Wir werden es schon zurück schaffen.«
    »Bei null Metern Sichtweite?« fragte der Meteorologe.
    »So schlimm wird es so schnell schon nicht werden.«
    »Du kennst das Polarwetter nicht so gut wie ich. Diese Front zieht viel schneller als vorhergesagt heran. Wir könnten uns in einem undurchdringlichen Schneesturm wiederfinden.«
    »Also wirklich, Franz, dein schwermütiges deutsches Wesen ...«
    Ein donnerschlagähnliches Geräusch rollte unter ihnen heran, und ein Beben lief durch die Eishülle. Das Poltern wurde von einem hohen, ja fast unhörbaren Kreischen verstärkt, mit dem Dutzende von Eisschichten aneinanderrieben.
    Rita stolperte, bewahrte jedoch ihr Gleichgewicht. Sie kam sich vor, als schritte sie durch einen fahrenden Zug.
    Das Grollen ließ schnell nach.
    Gesegnete Stille kehrte zurück.
    Endlich erwiderte Franz ihren Blick. Er räusperte sich. »Larssons oft vorausgesagtes großes Beben?«
    »Nein. Zu schwach. Große Bewegungen in dieser Verwerfungskette wären viel stärker, insgesamt viel heftiger. Diese kleine Erschütterung wird von der Richter-Skala kaum erfaßt werden.«
    »Ein Vorbeben?«
    »Vielleicht«, sagte sie.
    »Wann ist mit dem Hauptbeben zu rechnen?«
    Sie zuckte mit den Achseln. »Vielleicht nie. Vielleicht heute abend. Vielleicht in einer Minute.«
    Er verzog das Gesicht und packte weiterhin Instrumente in den wasserdichten Karton. »Und du hast von meiner schwermütigen Natur gesprochen ...«

12:45
     
     In den Lichtkegeln der beiden Schneemobile verankerten Roger
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