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Eiswind - Gladow, S: Eiswind

Titel: Eiswind - Gladow, S: Eiswind
Autoren: Sandra Gladow
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weißes Fachwerkhaus. Das Haus befand sich auf der Altstadtinsel, in unmittelbarer Nähe des Johanneums, eines Lübecker Traditionsgymnasiums. »Hier hat sie gewohnt, du kannst parken.«
    Bendt stellte den Wagen am rechten Fahrbahnrand der schmalen, kopfsteingepflasterten Anliegerstraße ab.
    Sie hatten auf der Fahrt wenig gesprochen, nachdem sie bei den Eltern des Opfers gewesen waren und diese, so gut es eben möglich war, zu den Lebensumständen ihrer Tochter vernommen hatten.
    »Das ist der absolut beschissenste Teil unseres Jobs«, hatte Braun gesagt, während sie durch den Vorgarten der Familie Mertens auf die Haustür zugegangen waren. Er sagte das jedes Mal, wenn sie die Aufgabe hatten, den nahen Angehörigen eines Opfers die Hiobsbotschaft zu überbringen.
    Manchmal fühlte sich Braun dabei selbst wie ein Mörder. Er war es, der anderen binnen Sekunden den Grund zum Leben nahm und ihr Glück zerstörte. Es gab nichts Schlimmeres für ihn, als Eltern mitzuteilen, dass sie ihre Kinder begraben müssten.

    Sie hatten Barbara Mertens schon vom Vorgarten aus durch das Küchenfenster beobachten können. Eine dralle, freundliche Hausfrau, die gerade am Herd stand und den Tag zu genießen schien, während sie das Mittagessen für einen bis dahin ganz normalen Samstag vorbereitete. Durch das auf Kipp gestellte Küchenfenster war bis in den Vorgarten Schlagermusik zu hören gewesen, und sie hatten beobachtet, wie sie ihre Hüften beschwingt im Takt kreisen ließ.
    Wie so oft hatte Braun einen Augenblick innehalten müssen, bevor er die Klingel betätigte. Es war ihm manchmal, als müsse er den Menschen noch einen letzten lebenswerten Moment gewähren, bevor er ihnen gegenübertrat und sie ins Bodenlose stürzen ließ.
    Er hatte Frau Mertens – wie so viele vor ihr – binnen Sekunden altern sehen, während sie versuchte, das Unfassbare, das er ihr überbringen musste, zu begreifen. Sie hatte ihre Tochter und damit ihr einziges Kind verloren.
    Er sieht verdammt schlecht aus, dachte Bendt, der den Kollegen besorgt von der Seite musterte, während sie eine Stunde später auf das Haus zugingen, in dem das Opfer gewohnt hatte. Fälle wie diese gingen ihm immer besonders an die Nieren, wenn sich Braun auch stets bemühte, seine Gefühle zu verbergen.
    Sie standen nun vor dem weißen Fachwerkhaus, in dem, wie ein Blick auf die Klingelleiste zeigte, vier Parteien wohnten. Hauptkommissar Braun fischte aus seiner Hosentasche den Hausschlüssel, den sie bei der Leiche am Tatort gefunden hatten, und schloss auf.

    Über eine knarrende alte Holztreppe stiegen sie in den ersten Stock hinauf und erreichten die Wohnungstür, an der ebenso wie an der Haustür und dem Briefkasten lediglich der Name Mertens verzeichnet war. Sie klingelten.
    »Da brauchen Sie gar nicht weiter klingeln«, hörten sie eine weibliche Stimme aus dem Erdgeschoss, »Frau Mertens und Herr Jensen sind nicht da.«
    Bendt beugte sich über das Geländer und erblickte auf dem unteren Treppenabsatz eine etwa siebzig Jahre alte Frau, die kritisch zu ihm heraufblinzelte.
    »Sind Sie vom Ablesedienst?«, fragte sie misstrauisch, während sie einen Eimer Seifenwasser auf dem Treppenabsatz abstellte.
    »Nein«, gab Bendt zurück, »wir sind von der Kriminalpolizei.«
    Sie streifte umständlich einen ihrer gelben Gummihandschuhe ab und wischte sich mit dem Handrücken eine graue Haarsträhne aus dem Gesicht, als bräuchte sie einen Moment, um diese Information zu verarbeiten.
    »Aha«, sagte sie dann und fügte mit Blick auf ihren Eimer hinzu: »Ich habe gerade die Kellertreppe geputzt.«
    Bendt lächelte anerkennend. »Sieht ja auch tipptopp aus, das Haus«, lobte er. »Können wir uns kurz mit Ihnen unterhalten?«, fragte er dann freundlich.
    Sie blickte sich um, als wollte sie sicherstellen, dass auch wirklich sie gemeint sei. »Meinetwegen«, antwortete sie dann mit einem Achselzucken, während sie die Treppe hinaufstieg. »Was wollen Sie denn wissen?«
    Bendt und Hauptkommissar Braun warteten ab, bis sie den ersten Stock erreicht hatte, und stellten sich vor. Frau Leicht, so erfuhren sie, wohnte auf dem gleichen Stockwerk, gegenüber der Wohnung des Opfers.
    Sie musterte die beiden Beamten argwöhnisch, und Bendt musste angesichts der bei älteren Damen nicht unüblichen Gewissenhaftigkeit schmunzeln, mit der sie ihre Dienstausweise studierte.
    »Kennen Sie Herrn Jensen?«, ergriff schließlich der Hauptkommissar das Wort, der den Namen von Sabrinas Freund von ihrer
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