Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eistod

Eistod

Titel: Eistod
Autoren: Michael Theurillat
Vom Netzwerk:
tief Luft: »Erst ficken sie unsere Mädchen, dann schießen sie alles zusammen und am Schluss bekommt jeder einen Staatssarg. Gratis. Zahlen tut hier keiner was.« Nachdem er abermals tief durchgeatmet hatte, kniete er sich wieder neben das Hinterrad. »Scheißausländer«, zischte er. »Alle zusammen Scheiße!«
    »Sommerreifen im Winter sind auch Scheiße«, sagte Eschenbach und ging zurück zum Tatort.

2
    Es war immer dasselbe Gefühl von Armseligkeit, das Eschenbach beschlich, wenn er an einem Ort stand, an dem Gewalt ein Leben ausgelöscht hatte. Im Crazy Girl war es sichtbar: das Ärmliche, das diesen Plätzen anhaftete. Man würde es später auf den Polizeifotos erkennen können: der abgetretene Filzboden im Flur und der Gilb an den Wänden. Die Glühbirnen, die nackt von der Decke hingen. Das fahle Licht und der Muff.
    Eschenbach hatte sich vom diensthabenden Offizier die Personalien des Amokschützen und der Toten geben lassen. Jetzt, an der Bar im Erdgeschoss des Gebäudes, sah er auf das Blatt Papier: Martin Zgraggen, Jahrgang 1963 . Darunter stand eine Adresse in Zürich-Höngg. »Von wegen Ausländer«, murmelte er. Sein Haar klebte ihm an der schweißnassen Stirn; er fröstelte. »Kennen Sie die Frau, Nora?«, fragte er das dunkelhäutige Mädchen hinter der Theke. Er deutete mit dem Finger nach oben. Nora K. und ein paar Fragezeichen. Mehr stand nicht auf dem Zettel.
    Der Kaffeeautomat fauchte und spritzte heißes Wasser in ein Whiskyglas.
    Die junge Frau schüttelte den Kopf.
    »Schon lange hier?«, fragte er weiter.
    Es kam ein Schulterzucken. Dann nahm sie einen Bierdeckel, legte ihn auf den Holztresen vor Eschenbach und stellte das Glas mit dem Wasser drauf.
    »Kein Deutsch?«
    Wieder Kopfschütteln.
    »Brasil?«
    Sie nickte und lächelte.
    Eschenbach kramte in der Manteltasche nach den Medikamenten. Fiebersenkend und schmerzstillend stand auf der einen Packung; auf der anderen hieß es: Lindert Husten und fördert den Auswurf . Er tat je eine Tablette ins Glas und rührte. Nachdem er in den Packungsbeilagen etwas über die Nebenwirkungen gelesen hatte, überkam ihn ein leichtes Gefühl von Übel- und Müdigkeit. Während er langsam und in kleinen Schlucken die grellgelbe Flüssigkeit trank, sah er dem Mädchen zu. Sie räumte den Geschirrspüler aus und summte dabei. Mit einem weißen Lappen trocknete sie das Geschirr nach, bevor sie die Gläser ins Regal stellte. Ab und zu warf sie dem Kommissar einen verstohlenen Blick zu. Wenn Eschenbach lächelte, tat sie es auch.
    »Pferdepisse«, brummte er, nachdem er den letzten Schluck getrunken und das Glas zurück auf die Holztheke gestellt hatte. Mit einem großen Stofftaschentuch trocknete er sich Mund und Stirn, schnäuzte sich einmal kräftig und glitt vom Barhocker. »Adios«, sagte er.
    »Até logo.« Das Mädchen hob die Hand zu einem halbherzigen Winken und sah ihm nach, wie er langsam zum Ausgang ging.
    Eschenbach schleppte sich bis zur Badenerstrasse, dort hatte er Glück. Ein Taxi setzte gerade einen Fahrgast ab. Der Kommissar stieg ein.
    »Ich bin besetzt«, knurrte der ältere Herr am Steuer.
    »Kripo Zürich«, sagte Eschenbach und hielt dem Fahrer seinen Dienstausweis unter die Nase. »Fahren Sie mich bitte zum Paradeplatz!«
    »Dann halt«, kam es halblaut. »Ich kann auch nichts dafür.
    Bei dem Wetter fährt gerade mal die Hälfte der Belegschaft. Türken und Griechen – die kennen Schnee nur vom Hörensagen.«
    »Ja, ich weiß, Sie sind ein Mutiger.«
    Der Taxifahrer schwieg.
    Eschenbach war, als hätte ihn die Welt wieder. Die letzten Wochen war es ruhig gewesen und nun – erkältet und mit einem Kopf wie ein Bienenstock – hatte er doch noch seinen Weihnachtsmord. Wenigstens würde dieser ihn ablenken und ihm das Gefühl geben, dass er für irgendwas gut war.
    Er hörte die Combox auf seinem Handy ab. Die einzige Nachricht war von Christoph Burri. Der Arzt erkundigte sich nach dem Befinden seines Patienten. »Und komm heute Abend doch vorbei – es sind alles interessante Leute … das bringt dich auf andere Gedanken.«
    Der Kommissar steckte das Mobiltelefon wieder in die Manteltasche und sah zum Fenster hinaus. Der Schnee verlieh dem Paradeplatz eine Aura von Kälte. Mit hochgezogenen Schultern und Wintermänteln standen die Leute auf der Traminsel und warteten im schummrigen Licht der Abendbeleuchtung. Ungeduldig; mit Kappen und Mützen. Hier und da ein Hauch von Pelz. Das Taxi hatte noch nicht gehalten, da sah der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher