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Eistod

Eistod

Titel: Eistod
Autoren: Michael Theurillat
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schrumpften, jammerten und klagten, wie die Lehrer oder die Handwerker und Polizisten.
    Eschenbach ließ sich von einer Angestellten des Catering-Service ein Glas Rotwein geben, schnappte sich von einem Tablett einen Schinkengipfel und musterte die Gäste. Die hot chicks waren mehrheitlich Damen in Eschenbachs Alter. Einige von ihnen schienen die Kleider ihrer Töchter zu tragen: zerschlissene Designerjeans, figurbetonte Tops und um den Hals ein massives Silberkreuz mit Lederriemen.
    »Komm, ich stell dir ein paar Leute vor«, sagte Burri und zog den Kommissar am Ärmel. Es folgte die übliche Tortur: Namen, die er sich nicht merken würde, das interessierte Lächeln und die gespielte Freude. Am Ende blieb Eschenbach der Wunsch, sich gehörig zu betrinken.
    Die junge Frau, die ihm dabei half, hieß Denise. Sie war Mitte dreißig und als »hübsches Anhängsel« von Kurt Gloor, Vorsteher des Sozialdepartements der Stadt, so bekannt wie ein bunter Hund.
    »Und was machen Sie beruflich?«, fragte sie.
    »Ich bin Patient«, sagte Eschenbach.
    »Tatsächlich?« Sie nippte an ihrem Prosecco.
    »Ja, hauptberuflich.«
    Einen Moment lang stand sie da und sagte nichts, ohne das Gesicht zu verziehen. Dann lachte sie schallend. Der Prosecco in ihrem Glas schwappte über.
    Eschenbach wich einen Schritt zurück. Besoffenes Huhn, dachte er, und als Denise Gloor nicht aufhörte zu lachen, schlenderte er zum Buffet und holte Nachschub. Mit einer halb vollen Flasche italienischen Schaumweins kehrte er zurück, dann schenkte er nach.
    Die Frau vom Service eilte mit einem weißen Küchentuch herbei und wischte den Boden auf.
    »Endlich kommt Stimmung in die Bude«, sagte Eschenbach leise.
    Denise hielt sich die Hand vors Gesicht. Sie hatte schöne Hände und Tränen in den Augen.
    Eine halbe Stunde später saßen sie nebeneinander auf der Couch bei einer Flasche Rotwein. Denise erzählte von ihrer Arbeit als Kreditanalystin einer Großbank.
    »Eigentlich geben wir nur denen Geld, die es nicht brauchen«, kicherte sie und ließ sich von Eschenbach nochmals Wein einschenken.
    »Ich mag Frauen, die trinken.«
    Sie gluckste. Dann sprach sie darüber, wie sie Kurt Gloor kennengelernt hatte. Damals, als er noch Finanzchef einer kleinen Firma in Wollishofen war. »Kurt steckt sich Ziele und erreicht sie.« Und nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Ich war auch eines davon.«
    »Und wie kommt ein aufstrebender Finanzchef zur Politik? Ich meine, dort landen doch nur die Gestrandeten …«
    »Solche wie wir, meinst du?« Denise nahm einen kräftigen Schluck, dann lehnte sie sich an Eschenbachs Schulter. »Ich glaube, die Politik braucht klare Köpfe … Ziele, und eine harte Hand.«
    »Vor allem im Sozialdepartement«, witzelte der Kommissar.
    »Du wärst zu weich … hast keine Ahnung, was dort alles abgeht. Die Ausländer, die ganzen Kriminellen. Als Kurt in den Stadtrat gewählt wurde, war das Sozialdepartement gerade frei.«
    »Ich bin es auch«, sagte Eschenbach und hustete.
    »Man muss nehmen, was man kriegt.«
    »Eben.«
    »Ist noch Wein da?«
    Der Kommissar nahm die Flasche, die er zwischen zwei Couchkissen eingeklemmt hatte, und füllte ihr Glas.
    »Und du?«
    »Ich bin betrunken«, sagte Eschenbach.
    »Und? Stört es dich?«
    »Nein.«
    »Dass ich trinke?«
    »Auch nicht.« Der Kommissar schenkte sich ebenfalls ein. Dann sahen sie einander schweigend an und leerten ihre Gläser.
    Nach einer Weile legte sie ihren Kopf auf seinen Schoß und zog die Beine an.
    »Hauptamtlicher Patient also … das ist ein schöner Beruf«, murmelte sie.

3
    An einem abgelegenen Ort nahe dem Dörfchen Heimenschwand im Kanton Bern, etwa zur selben Zeit, in der sich im Crazy Girl in Zürich ein menschliches Drama abspielte, stellte ein junger Mann sein Bike an eine nichtssagende Hauswand.
    Vermutlich kommt wieder Schnee, dachte Konrad Schwinn und warf einen Blick auf die Wetterstation neben der Eingangstür. Das Thermometer zeigte minus acht Grad Celsius. Sein dunkler Thermoanzug dampfte. Obwohl er seit seinem Studium an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich regelmäßig Ausdauersport betrieb, schmerzten seine Beine. Er war weiter gefahren, als er ursprünglich wollte, und hatte sich außerhalb des erlaubten Rayons bewegt. Wenn ihn jemand gesehen hatte, waren Schwierigkeiten vorprogrammiert. Das nächste Mal würde er eine Genehmigung für die ausgedehnte Radtour einholen und sich bei der Zentrale entsprechend abmelden. Genau so,
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