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Eistod

Eistod

Titel: Eistod
Autoren: Michael Theurillat
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Glas. »Auch wenn wir nur Menschen sind: auf Theo!«
    Trotz der Gemütlichkeit, die sich breitmachte, hier, mitten im Kreise seiner Freunde: Der Kommissar ertappte sich dabei, dass seine Gedanken hin und wieder ganz woanders waren.
    Die Inhaftierung von Meiendörfer und Burri hatte hohe Wellen geschlagen. Sie schwappten von der Zürcher Kantonalpolitik bis ins eidgenössische Justizdepartement, bis nach Bern. Hüben wie drüben gab es Schuldzuweisungen; Rücktritte wurden gefordert und Rücktritte wurden angeboten. Die Sache war noch lange nicht ausgestanden.
    Auf ihn kam eine anstrengende Zeit zu, dessen war sich der Kommissar bewusst. Vielleicht genoss er deshalb die Stunden mit seinen Freunden ganz besonders; die dummen Sprüche, die von Herzen kamen, und Kathrin, die schallend darüber lachen konnte.
    Gegen zehn kamen Juliet und Claudio vorbei.
    Gabriel holte zwei Stühle und die Runde wurde größer.
    »Der schnappt dir bestimmt noch die Freundin weg«, zündete Christian und spielte auf Jagmettis Vergangenheit an. »Du wirst dich noch ins Knie beißen, dass du ihn zurückgeholt hast.«
    Juliet, die sich die Show nicht stehlen ließ, küsste den Kommissar und der Verdacht verflog in alle Windrichtungen.
    Etwas unwohl in seiner Haut und mit Juliet am Hals, schielte Eschenbach zu seiner Tochter. So wie es aussah, war er der Einzige am Tisch, der mit der neuen Situation noch etwas Mühe hatte.
    Kurz nach zwölf, nachdem die meisten Gäste gegangen waren, standen auch sie auf. Bei der Garderobe schwatzte man weiter. Mäntel, Schals und Mützen wurden verwechselt und getauscht; Handschuhe verloren geglaubt und wiedergefunden. Es ging eine Weile hin und her, bis jeder das hatte, womit er gekommen war.
    Die Freunde umarmten und küssten sich zum Abschied. Und als sie endlich alle draußen standen, sich der rieselnde Schnee langsam auf ihre Köpfe und Schultern setzte, taten sie dasselbe noch einmal. Umarmen und Küssen. Es war ein lautes »Adieu«, das sie sich in der kalten Nacht mit auf den Heimweg gaben.
    Einen Moment dachte Eschenbach an Burri, an die Unfähigkeit des Arztes, mit seiner eigenen Durchschnittlichkeit fertig zu werden. Es war dieser Punkt, den er bei seinem Freund übersehen hatte, der Wunsch, bedeutender zu sein, als er war.
    »Erinnerst du dich an die Geschichte vom kleinen Tannenbaum?«, fragte er Kathrin. »Das Bäumchen, das sich seiner Nadeln schämte und andere Blätter haben wollte?«
    Seine Tochter lachte. »Ja, und als dann der Herbst kam und sie alle zu Boden fielen, da wollte es wieder andere …«
    »Genau.« Und plötzlich wurde Eschenbach bewusst, dass es nie eine Freundschaft gewesen war. Dass es in Wirklichkeit nichts gab, das ihn mit Burri verband. Sie waren zur selben Zeit geboren und in demselben Quartier aufgewachsen. Aber trotz der vielen Zeit, die sie miteinander verbracht hatten, trotz der geteilten Ängste und Freuden: Am Ende waren sie sich fremd geblieben. So fremd wie am ersten Tag; getrennt durch die Bauchdecken zweier Mütter.
    »Es ist spät geworden«, sagte der Kommissar, als sie die Dufourstrasse entlanggingen. Juliet und Kathrin hatten sich bei ihm eingehängt und er versuchte, den kleinen Schirm mal mehr rechts und mal mehr links über ihre Köpfe zu halten.
    »Wer ist eigentlich Judith«, fragte Juliet plötzlich und sah Eschenbach von der Seite an.
    »Sicher noch eine von Papas Freundinnen«, witzelte Kathrin. Die beiden Frauen blieben stehen, sodass Eschenbach auch nichts anderes übrig blieb.
    »Warum fragst du?«, wollte er wissen.
    »Manchmal, wenn der Professor nicht ganz bei der Sache war …« Juliet strich sich eine ihrer rotblonden Strähnen aus der Stirn. »Na, du weißt schon, einfach unkonzentriert halt. Dann hat er mich Judith genannt.«
    »Wirklich?« Eschenbach zog die beiden Frauen weiter. Ihm war kalt und die Erkältung steckte ihm noch in den Knochen.
    »Ja, Judith.«
    Sie fielen wieder in einen Gleichschritt.
    »Ich weiß«, sagte Juliet. »Judith – Juliet. Es klingt sehr ähnlich. Erst habe ich gedacht, ich hätte mich vielleicht verhört. Aber es ist ihm immer wieder passiert. Ich wollte dich schon lange einmal danach fragen. Schließlich habt ihr euch gut gekannt … schon von früher.«
    Diesmal war es Eschenbach, der stehen blieb. Er sah Juliet an und meinte: »Ja, eine Judith hat es tatsächlich einmal gegeben. Du bist ihr übrigens wie aus dem Gesicht geschnitten. Vermutlich war es das, was den Professor irritierte.«
    Während
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