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Eistod

Eistod

Titel: Eistod
Autoren: Michael Theurillat
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dem Auto in einer knappen Stunde erreicht werden. Die Zentrale war an 365 Tagen im Jahr besetzt. Rund vierzig Personen, der größte Teil davon Datenbankspezialisten, werteten die Informationen aus. Der Fokus lag derzeit auf fünftausend Begriffen. Die Mehrheit der Bevölkerung kam im Alltag mit tausend Wörtern aus. Von den ausgewerteten Daten profitierte in erster Linie der Strategische Nachrichtendienst. Der Bundespolizei sowie anderen Polizeidienststellen im Inland stand das System grundsätzlich nicht zur Verfügung. So jedenfalls stand es als Folge des Fichenskandals 1 Ende der Achtzigerjahre im neuen Bundesgesetz zur Wahrung der inneren Sicherheit.

    Der Anruf aus Zimmerwald erreichte Konrad Schwinn am nächsten Tag, kurz nach halb neun abends. Eine Viertelstunde später saß er auf dem Beifahrersitz eines weißen VW Golf mit Berner Kennzeichen. Der zugeteilte Fahrer war ein bleicher Mann mit schütterem Haar. Er trug eine graue Flanellhose und einen dunklen Pullover.
    »Brauchen wieder einmal unsere Hilfe dort, eh?«
    »Denke schon«, murmelte Schwinn. Mehr wollte er nicht sagen. Der Mann, mit dem er auf einer abhörsicheren Punkt-Punkt-Verbindung telefoniert hatte, war Divisionär Kurt Heidegger, Zweisternegeneral der Schweizer Armee und Kommandant der Führungsunterstützung Basis, kurz FUB.
    Schwinn hatte seine Einsätze beim Militär, die Rekrutenschule und später die Ausbildung zum Technischen Unteroffizier, nie so ganz ernst genommen. Auch die Wiederholungskurse, die er einmal im Jahr absolvierte, waren für ihn eine Art Ferienersatz; bezahlt vom Bund, eine willkommene Unterbrechung des Alltags an der ETH. Er mochte die weichen Hügelketten der Bernischen Voralpen. Sie eigneten sich für ausgedehnte Radtouren und Spaziergänge, bei denen er Sauerstoff tanken und sich in aller Ruhe dem einen oder anderen mathematischen Problem widmen konnte. Die knapp zweihundert Diensttage, die er auf dem Buckel hatte, waren mehr als genug, fand er. Und vermutlich spiegelten sie seinen Vorgesetzten etwas vor, was Schwinn gar nicht war: engagiert. Für den zweiunddreißigjährigen Technischen Unteroffizier waren die Einsätze, die er im Rahmen der Einheiten für Elektronische Kriegsführung leistete, nicht mehr als kleine Spielereien. Fürze im europäischen Wasserglas, und für das globale Sicherheitsdispositiv etwa so relevant wie Heimenschwand fürs vereinigte Europa.
    Dass Kurt Heidegger die Dinge anders sah, schien logisch. Mit zweitausend Diensttagen hörte der Spaß auf. Und vermutlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis aus einem Sandkasten eine Weltkugel wird.
    Es war das erste Mal, dass man Schwinn gefragt hatte, ob er wirklich Arabisch könne. In Wort und Schrift. Und es war auch das erste Mal, dass ihn das beklemmende Gefühl beschlich, die Sache wäre ernst und die Armeeführung wüsste über seine Personalakte ganz genau Bescheid.
    Die Heizung des Wagens lief auf Hochtouren. Schwinn schwitzte; er rieb seine feuchten Hände über Oberschenkel und Knie. Wie der Fahrer trug auch er zivile Kleidung: Jeans und Sweatshirt – darüber einen schwarzen Anorak. Es war eine der wenigen Vorsichtsmaßnahmen, die das Ganze vereinfachte und obendrein noch bequem war. Einen Moment überlegte er, ob er die Jacke mit dem Wollfutter ausziehen sollte.

    Zimmerwald war noch nirgends zu sehen, als der Wagen auf eine Nebenstraße abbog und Richtung Wald holperte.
    »Hoffentlich haben die geräumt«, murmelte der Fahrer und warf einen Blick auf die Temperaturanzeige. »Minus achtzehn Grad, da möchte ich keine Schneeketten montieren …«
    Der Weg durch den Wald wäre auch mit Sommerreifen passierbar gewesen. Der Schnee war zur Seite gepflügt worden und die Menge an Sägespänen auf der Fahrbahn zeigte, dass man von den Fahrkünsten der Besucher nicht viel erwartet hatte. Auf dem kleinen Parkplatz, den man in den Schnee hineingefräst hatte, standen vier Wagen. Drei gehörten dem Militär. Man sah es an Farbe und Modell: weiß oder beige; Kadett oder Golf. Daneben stand ein dunkler Mercedes. Schwinn vermutete einen Regierungsbeamten aus dem Verteidigungsdepartement.
    »Ich hätte Sie gern direkt vor die Zentrale gebracht«, sagte der Fahrer und stellte den Wagen zu den anderen. »Wollen halt kein Aufheben machen, um diese Zeit, sonst meinen die Leute im Dorf noch, der Krieg bricht aus.« Nachdem er den Motor abgestellt hatte, angelte er sich von der Sitzbank im Fond einen steifen Militärmantel und eine Gebirgsmütze. »Gehen
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