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Eisenhand

Eisenhand

Titel: Eisenhand
Autoren: Lindsey Davis
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dann am Fuß der Brücke entstand, ist hübsch und übersichtlich angelegt, und auf den Hügeln hinter der Stadt wird seit neuestem Wein angebaut. Auch Getreide gedeiht in der Gegend sehr gut, aber die Haupterwerbszweige sind Keramik und Wolle. Die heimische Schafwolle wird in staatlichen Webereien zu Uniformen verarbeitet, und auch das rote Steingeschirr geht größtenteils in Lizenz an die Legionen. Da ich alles wußte, überraschte es mich nicht, die prunkvoll und modern ausgestatteten Villen der Vororte von Augusta Treverorum zu sehen; schönere gab es selbst in der Heimat nicht. Diese Stadt würde jedem gefallen, der ein Faible für das römische Leben in seiner kultiviertesten Form hatte (Reichtum und schönen Schein). Also zum Beispiel einem hohen, romanisierten Bataverfürsten.
    Im Tempel des Mars Lenus wird neben unserem Gott auch sein keltisches Pendant, Tiw , verehrt. Hier freilich ist nicht Mars der Krieger gemeint, sondern Mars der Heiler – eine zwangsläufige Kombination, da der Gott der Soldaten auch ihre Wunden heilen muß, wenn er sie möglichst rasch in die Schlacht zurückscheuchen will. Und Mars, der Gott der Jugend (sprich: junges Speerfutter), war ebenfalls vertreten.
    Der Tempel bildete das Herzstück eines üppigen Schreins für Krankheiten und Gebrechen aller Art. In den umliegenden Straßen hatten sich zahlreiche schlampige Tavernen und säuerlich riechende Pensionen angesiedelt. Natürlich fehlten auch die üblichen Schmuck- und Andenkenverkäufer nicht, die rasch noch mit ihrem Plunder reich werden wollten, bevor ihnen die siechende Kundschaft wegstarb. Um den Tempel drängten sich außerdem jene widerlichen Händler, die Votivmodelle sämtlicher Körperteile feilboten – angefangen von den Sexualorganen (beiderlei Geschlechts) über Füße (wahlweise rechts oder links) bis zu Ohren (neutral). Daneben hatten sich Quacksalber aller medizinischen Disziplinen niedergelassen, die zusammen mit Wahrsagern und Geldwechslern aus Hoffnung und Verzweiflung gleichermaßen Profit zu schlagen wußten. Hin und wieder entdeckte ich in dem regen Markttreiben tatsächlich auch mal einen Lahmen oder Kranken, aber diesen bedauernswerten Kreaturen wurde nahegelegt, sich im Hintergrund zu halten: bleiche, abgezehrte Gesichter sind schlecht fürs Geschäft.
    Wie überall, wo zwielichtige Unternehmer sich bereichern wollen, kam es auch hier vor allem auf schnellen Umsatz an. Anbieter und Kunden kamen und gingen, ohne daß jemand viele Fragen stellte. In dieser Stadt konnte ein Mann, der untertauchen wollte, sich mehr oder minder frei bewegen.
    Seinen Sohn, den Jungen mit den Pfeilen, habe ich nie zu Gesicht bekommen. Was ein Glück für ihn war. Ich hätte ihn nämlich windelweich gehauen, weil er nicht besser auf meine Nichte gezielt hatte.
    Ich fand Julius Civilis auf einem Schemel vor einer Hütte am Stadtrand sitzen, wo er sich die Zeit mit ungelenken Schnitzereien vertrieb. Er wirkte ziemlich mitgenommen. Zwar schien er auf der Hut und spähte immer wieder verstohlen in die Runde, aber er hatte nur ein Auge, und ich näherte mich ihm auf leisen Sohlen von seiner blinden Seite.
    »Das Spiel ist aus, Civilis!«
    Er fuhr herum und sah mich dort stehen. Langsam zog ich mein Schwert und legte es zwischen uns auf den Boden, als Zeichen der Waffenruhe für die Dauer der Verhandlung. Wahrscheinlich erriet er, daß ich noch ein Messer bei mir hatte, aber dafür war er als ehemaliger Reitergeneral gewiß mit diversen Dolchen ausgerüstet, die – außer schmerzende Steine aus unbeschlagenen Hufen zu entfernen – auch ordentliche Kerben in die Brust eines kaiserlichen Kuriers schlagen konnten. Um mich hereinzulegen, hätte er freilich als erster handeln müssen; so entmutigt, wie er aussah, traute ich ihm nicht einmal den Versuch zu.
    Er war älter als ich. Größer und breiter. Wahrscheinlich auch deprimierter. Seine Lederhosen reichten bis knapp unters Knie, und der weite Mantel war mit geröteltem Schaffell gefüttert. Sein Gesicht war von Narben gezeichnet, und er hatte den steifen Gang eines Mannes, der einmal zu oft vom Pferd gefallen ist. Sein gesundes Auge blickte klug und scharf in die Welt; das andere hatte er vermutlich durch ein Bolzengeschoß eingebüßt; zurückgeblieben war eine tief klaffende Schramme. Der Bart reichte ihm bis über die Mantelspange; ebenso wie das lange, gewellte Haar, war er tatsächlich rot gefärbt – freilich nicht in jenem trotzig leuchtenden Rebellenton, den ich mir
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