Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Eis und Wasser, Wasser und Eis

Titel: Eis und Wasser, Wasser und Eis
Autoren: Majgull Axelsson
Vom Netzwerk:
Dank.

Die Sonne blendet Anders, als er aufsteht, er muss blinzeln, während er aus dem Fenster guckt. Er weiß natürlich, warum. An einem Morgen vor nicht einmal einem halben Jahr hat er Eva eine kleine Privatvorlesung über dieses Thema gehalten. Mit jedem Tag, der vergeht, werden die Proteinfibern hinter der Linse im Auge immer gröber, hatte er erklärt, und je gröber sie werden, desto mehr Elastizität verliert die Linse. Eines Tages würde sie sich dann gar nicht mehr an Licht und Dunkelheit anpassen können, aber bis dahin war es noch sehr lange hin. Das hoffte er zumindest. Hoffte es, glaubte es, meinte es zu wissen.
    »Willst du damit sagen, dass du blind werden wirst?«, fragte Eva damals. Sie saß auf der Bettkante und zog sich die Strumpfhose an. Er selbst stand am Fenster und knöpfte sich sein Hemd zu. Als er sie ansah, wich sie seinem Blick aus. War es das erste Mal? Nein. Ihr Blick war seinem schon seit langer Zeit verschlossen.
    »Nein. Aber wenn ich lange genug lebe, werde ich den Star kriegen. Wie alle. Du auch.«
    Darauf hatte sie nichts erwidert, war nur aufgestanden und hatte die Strumpfhose mit einer plumpen, stampfenden Bewegung zurechtgerückt, bevor sie ihm den Rücken zuwandte und sich zur Schranktür drehte. Er war noch eine Weile dort stehen geblieben und hatte sich dumm gefühlt. Warum musste er immer so dozieren? Sie hatte schon seit vielen Jahren aufgehört, ihm mit ihrer Bewunderung zu schmeicheln. Dann hatte er sich wieder zum Fenster umgedreht und die Jalousien hochgezogen, seine Augen dem Licht geöffnet, vor dem er vor wenigen Minuten noch zurückgewichen war. Ihm traten damals die Tränen in die Augen.
    Auch jetzt treten ihm die Tränen in die Augen, aber er blinzelt sie schnell fort. Die langsame Anpassung des Auges ist abgeschlossen, er kann durch das Fenster gucken und lässt sich von dem einfangen, was er dort sieht. Ein glitzerndes Meer. Blauer Himmel. Und in weiter Ferne eine Küste, die in tiefstes Violett getaucht ist. Grönland. Er seufzt und streicht sich über den Bauch. Endlich. Acht Tage lang ist die Oden über ein bleigraues Meer getuckert, eingeklemmt unter einem ebenso bleigrauen Himmel, acht Tage lang hat er mit dem Gefühl gekämpft, dass er selbst sich in ein graues Nichts auflösen und verschwinden könnte. Noch gestern lag er den ganzen Nachmittag schwermütig und reglos in seiner Koje, nicht in der Lage, aufzustehen und irgendetwas anzupacken, was auch nur Arbeit ähnelte, nicht in der Lage, sich selbst einzureden, dass es nur vorübergehend so war, dass all das Grau weichen würde und … Aber jetzt ist es vorüber. Jetzt ist der neunte Morgen, und das Meer ist blau. Sie sind in der Nordwestpassage. Nun fängt die richtige Reise an.
    Jetzt hat er es eilig, will nicht länger warten. Deshalb schnaubt er laut unter eiskaltem Wasser in der Dusche, zieht sich den Pullover über, noch bevor er sich ordentlich den Rücken abgetrocknet hat, und fährt sich mit der Hand durch das feuchte Haar, während er die Tür öffnet und auf den Gang hinaustritt. Dort ist alles wie üblich in bester Ordnung, vor jeder Kajütentür stehen grobe Schuhe und Stiefel ordentlich auf ihren Regalen, und zerfledderte Comics liegen in symmetrischen Stapeln da. Ansonsten ist es leer. Nicht ein Mensch zu sehen. Niemand sieht ihn. Deshalb geht er mit einer ausgestreckten Hand und lässt die Fingerspitzen über die Wand laufen. Sicherheitshalber.
    »Es gibt eigentlich nur eine Sache zu bedenken«, hatte Folke an jenem Nachmittag im Krankenhaus gesagt. »Man muss immer eine Hand frei haben auf dem Schiff. Immer. Ganz gleich, was man macht. Du musst das bereits bei den ersten Sicherheitsinstruktionen zur Sprache bringen. Ich habe genügend gebrochene Arme und Beine gesehen, nur weil sie sich nicht richtig haben abstützen können, wenn sich das Schiff auf die Seite gelegt hat.«
    Anders hatte lachen müssen. Folke bemerkte das und grinste unter seinem Schnurrbart.
    »Was zum Teufel … Nun ja, das hier ist an Land passiert.«
    Folke war auf einer seiner eigenen Stationen aufgenommen worden, und hier lag er nun mit dem Bein in Streckgips, etwas benommen durch eine ungewöhnlich großzügige Dosis Schmerzmittel. Das Pflegepersonal und andere Ärzte gaben sich an seiner Tür die Klinke in die Hand, gleichzeitig schmunzelnd und voller Mitleid. Der Orthopäde war auf der Orthopädie gelandet! Armer Folke! Diesen Sommer würde er nicht ins Eis kommen.
    Er hatte Anders, nur wenige Stunden nachdem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher