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Eis und Wasser, Wasser und Eis

Titel: Eis und Wasser, Wasser und Eis
Autoren: Majgull Axelsson
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landet. Aber auch dort weiß er genau, wie es aussehen wird. Es wird ein ewiger Nachmittag in diesem alten Schuppen sein, den seine Frau »Ferienhaus« nennt und von ihren Eltern geerbt hat, an einem glühend heißen Tag, an dem die Sickergrube geleert und die Fenster gestrichen werden müssen, an dem die Alte schlecht gelaunt ist und der Whisky zur Neige geht, an dem sein Teenagersohn zurück in die Stadt will, zu seinem lebenswichtigen Computer …
    Ach was. All das kann er vergessen. Er wird erst in anderthalb Monaten nach Hause kommen, und dann sind die Ferien vorbei, und die Sommerhütte ist für diese Saison geschlossen. Er ist noch einmal davongekommen, auch in diesem Sommer. Und den Preis dafür hat er bereits bezahlt, seine Frau war zwei Wochen lang beleidigt, als er ihr eröffnet hatte, dass er sich zur Expedition gemeldet hatte, taute dann jedoch auf, als er andeutete, dass das Geld, all diese albernen Extraeinnahmen, zum Kauf von irgendeinem unnützen Kram verwendet werden könnte. Sie beruhigt sich jedes Mal, wenn er ihr unnütze Dinge verspricht. Er kann sich kaum noch daran erinnern, was es dieses Mal war … Neue Kacheln in der Küche? Nein, das war letztes Jahr. Ein Heimkino, das war es. Verdammter Mist. Das bedeutete, dass er sich früher oder später durch eine Gebrauchsanweisung von mindestens 400 Seiten quälen musste. Vielleicht sollte er am nächsten Tag zu Hause anrufen und ihr vorschlagen, diesen blöden Apparat schon jetzt zu kaufen, mit Installation und allem …
    Lieber nicht. Er hat keine Lust, mit ihr zu reden. Er möchte überhaupt mit niemandem reden. Das Einzige, wozu er Lust hat: vollkommen allein sechs Treppen hoch auf der Brücke derOden zu sitzen und den Horizont zu betrachten. Vielleicht würde ja bereits heute Nacht ein Eisberg auftauchen. Er hofft das. Eisberge werden, genau wie alles andere, größer und schöner, wenn man sie in Einsamkeit erlebt. Er blinzelt in die graue Unendlichkeit. Nein. Noch ist nichts zu sehen, und eigentlich weiß er ja auch, dass es noch zu früh ist. Morgen vielleicht …
    Das Schiff erzittert. Leif Eriksson runzelt die Stirn und beugt sich vor, sitzt ein paar Sekunden lang reglos da, mit erhobener Hand, bereit, den Steuerknüppel zu greifen, wenn das nötig ist, aber nichts passiert. Er lässt die Hand sinken und steht auf. Zeit für einen Kaffee. Und für ein paar Eintragungen ins Logbuch.
    Den Becher in beiden Händen, geht er eine Runde über die Brücke, während er die weiße Nacht draußen betrachtet. Die Mittsommernachtssonne ist eine Silbermünze hinter den Wolken. Einen Moment lang wird er von einer leicht surrealen Stimmung gepackt und meint zu fliegen, dann blinzelt er schnell und sammelt sich. Er fliegt nicht, er befindet sich nur hoch über dem Meer, oben auf dem sechsten Deck, breitbeinig und sicher steht er auf dem Teppichboden. Vielleicht ist es das Licht, das ihm einen Streich spielt. Er kann voraus und nach achtern gucken, nach steuerbord und nach backbord, wenn er sich nur dreht, und dennoch sieht er nicht alles, denn vor den großen Fenstern steigt der Nebel der späten Nacht langsam zum Himmel und löst alle Konturen auf. Seine Finger sind kalt, und automatisch wirft er einen Blick auf das Thermometer, obwohl er weiß, dass die Außentemperatur nichts mit der Wärme hier oben auf der Brücke zu tun hat. Er hat hier schon in Hemdsärmeln gesessen, wenn draußen vierzig Grad minus herrschten. Die Brücke der Oden ist sicher in ihrer Unveränderlichkeit. Auch wenn der Sturm draußen heult, sind alle Geräusche hier drinnen gedämpft, und auch im schlimmsten Seegang steht die Ausrüstung sicher festgeschraubt an ihrem Platz. Normalerweise fällt nicht einmal ein Blatt Papier zu Boden, und sollte das doch passieren, dann wird es sofort von dem Nächststehenden aufgehoben. Er verzieht das Gesicht. An Land bräuchte man wohl eine Konferenz und Verhandlungen darüber, wer sich dafür krumm macht. Das ist ein Grund, warum er es vorzieht, zur See zu fahren. Man kommt um eine ganze Menge Blödsinn herum.
    Die Nacht ist dunkler geworden, doch das liegt eher an mehr Wolken und Nebel als am Stand der Mittsommernachtssonne. Dennoch muss es kälter geworden sein, das kann er sehen, wenn er nach achtern schaut. Das Kielwasser, das vor ein paar Stunden noch grau und weiß schäumte, hat sich buchstäblich in Silber verwandelt. Die Wellen verlaufen nur ein paar Meter seitwärts, bevor sie auslaufen und ganz verschwinden, das ist eine zögerliche
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