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Eis und Wasser, Wasser und Eis

Titel: Eis und Wasser, Wasser und Eis
Autoren: Majgull Axelsson
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lange Jahre gezeigt hatte?
    Also war es an der Zeit, einen Entschluss zu fassen.
    Doch. Er wollte weg. Er würde sich auf den Weg ins Eis machen. Solange es das noch gab.
    Er hatte Glück: Die zuständige Frau in der Personalabteilung in Malmö war noch nicht nach Hause in ihr wohlverdientes Wochenende gegangen, obwohl es bereits nach drei Uhr am Nachmittag war. Sie murrte ein wenig, protestierte aber nicht wirklich. Ihm standen noch über acht Wochen Urlaub zu, und außerdem drei Wochen an Überstunden, und auch wenn das nun wirklich reichlich plötzlich kam und der Personalmangel groß war, so gab es ja bereits Vertretung an Ort und Stelle und …
    Drei Tage später war er an Bord gegangen. Seine Hand hatte gezittert, als er die Jakobsleiter packte und von dem Taxiboot an Deck der Oden kletterte.
    Die ersten Tage waren eintönig, aber erträglich gewesen. Er war durch das Fahrzeug gelaufen, hatte in Maschinenraum und Werkstatt geschaut, das Labor und die Laborcontainer besucht, wo die Forscher dabei waren, ihre Ausrüstung auszupacken, und sich vorsichtig miteinander bekannt machten. Dann hatte er eine Weile neben den Vogelkundlern auf dem dritten Deck gesessen und aufs Meer hinausgestarrt und war anschließend mit leichtem Schaudern dem Koch gefolgt und hatte den Biervorrat hinter der Messe begutachtet. Am nächsten Tag hatte er sich im Krankenrevier aufgehalten und den ganzen Vormittag damit verbracht, den Medikamentenvorrat durchzugehen, während er gleichzeitig den lieben Gott anflehte, ihn doch vor Schlaganfall, Blinddarmentzündung und ernsthaften Zahnschmerzen mit Vereiterungen zu verschonen. Am Nachmittag verließen sie die Wellen der Nordsee und trafen auf die Brandung des Atlantiks, und vor seiner Tür hatte sich eine kleine Schlange grünbleicher Gestalten gebildet. Er hatte ihnen allen Pflaster gegen die Seekrankheit hinters Ohr geklebt, während er gleichzeitig versuchte, sich ihre Namen zu merken. Am dritten Tag hatte er seiner Schwester in Stockholm eine E-Mail geschickt, in der er ihr kurz und knapp berichtete, dass er diesen Sommer nicht bei ihr vorbeischauen würde, weil er – Ist das nicht fantastisch! – auf dem Weg ins Nördliche Eismeer war. Er hatte auf ihre Antwort nicht wieder geantwortet, eine Antwort, die viele Fragen enthielt, doch als der Kiosk nach dem Mittagessen wieder öffnete, hatte er eine Karte für das Satellitentelefon gekauft und Evas Handy angerufen. Vier Freizeichen waren erklungen, bevor ihre Stimme ihn auf dem Anrufbeantworter ermahnte, doch eine Nachricht zu hinterlassen. Er hatte aufgelegt, bevor das Piepsen kam, dann war er an Deck gegangen und hatte lange Zeit dort gestanden, die Hände in den Hosentaschen, und auf den Horizont gestarrt.
    »Ist das nicht schön!«, sagte eine Frau, die vorbeihastete. Er musste sich anstrengen, um sich daran zu erinnern, dass sie Ulrika hieß. Frischgebackene Professorin in Ozeanografie.
    »Ja«, sagte er. »Wirklich.«
    Doch er log. Er fand das überhaupt nicht schön. Es war doch nur jede Menge Wasser.
    Die Stimmung in der Messe ist heute anders, die Stimmen klingen heller, es wird mehr gelacht. Alle sind erleichtert, weil sie den grauen Atlantik hinter sich gelassen haben. Er nimmt sich sein Ei und seinen Saft und wählt sorgfältig zwischen den frisch gebackenen Brötchen aus, bevor er sich entscheidet. Vor ein paar Tagen ist ihm aufgegangen, dass die Besatzung ihren eigenen Tisch hat und dass sie es nicht schätzt, wenn sich andere ihnen aufdrängen, deshalb stellt er sein Tablett auf einen Tisch, an dem nur Forscher und Gäste sitzen, zieht den Stuhl heraus und gibt sich alle Mühe, zufrieden und entspannt zu wirken.
    »Bist du auch davon aufgewacht?«, fragt eine Frau auf der anderen Tischseite, und eilig sucht er in seinem Gedächtnis nach ihrem Namen. Katrin.
    »Wovon?«
    »Von dem Seegang heute Nacht. Als wir den Kurs geändert haben. Ich selbst bin aus der Koje gerollt.«
    Ein junger Mann neben ihr lacht. Ein Umweltforscher. Name unbekannt.
    »Sag bloß Leif nichts. Sonst wird er stinksauer.«
    Katrin lächelt:
    »Noch saurer als üblich?«
    »Ich habe versucht zu fragen, was passiert ist, aber er hat nur gefaucht …«
    »Dann bist du auch aufgewacht?«
    »Habe lange dagelegen und mich am Kojenrand festgehalten.«
    Anders schlägt sein Ei auf. Er weiß nicht, wovon sie reden. Vielleicht hat er die ganze Nacht tief geschlafen, vielleicht hat er nur geträumt, dass er wach gelegen hat. Das ist schon früher
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