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Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke

Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke

Titel: Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke
Autoren: Michaela Möller
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meines Vaters. Auf der anderen Seite liegt der See. Ich drehe vorsichtig meinen Kopf nach links und beobachte die Sonne, wie sie sich in den Bewegungen des Wassers bricht.
    *
    Später an diesem Nachmittag lassen Lena, Astrid und ich das Haus mit seinen Trauergästen durch unzählige Ruderschläge zurück, bis ihre Stimmen zu schwach sind, um die Distanz zu uns auf den See zurückzulegen. Das Wasser schwappt an meinem Handrücken hoch und kühlt angenehm. Ein paar Vögel gleiten über die glitzernde Oberfläche des Sees und unterbrechen mit ihren plötzlichen Flügelschlägen die Stille. Lena sieht ihnen kurz hinterher, dann öffnet sie ihren Blazer, lässt die rotblonden Haare aus ihrem Band rutschen und gleitet auf den Holzboden in der Spitze des Ruderboots. Es ist das erste Mal seit vier Tagen, dass meine Freundin sich entspannt. Astrid tut es ihr nach, und auch ich lasse mich auf meine Ellenbogen nach hinten in das Boot sinken, so dass die tiefe Nachmittagssonne lange Schatten in unsere Gesichter zeichnet.
    »Das letzte Mal, als wir zusammen hier draußen waren, haben wir beim Ruderboot meines Vaters auf die Verwirklichung unserer Träume geschworen.« Astrid lächelt und blickt in den Himmel, als fände sie dort ihre Erinnerungen. »Lena, du wolltest heiraten, eineFamilie gründen und jeden Sonntag einen Kirschkuchen mit Puderzucker backen. Ich wollte beim Fernsehen als Starvisagistin arbeiten und all die atemberaubenden Medienmenschen ungeschminkt sehen. Und Anna wollte im Hochland von Tibet gemeinsam mit einem rundlichen Buddhisten meditieren, im Orient auf Elefanten reiten und Polarlichter in der Antarktis beobachten.«
    Das Boot wackelt kurz, woraufhin ich mich aufrichte und mir einige Haare wider den seichten Wind hinter meine Ohren schiebe.
    »Tja, ich habe auf einem Elefanten gesessen, während Lena im Kreißsaal lag!«
    »Glaub mir, ich hätte auch lieber auf dem Tier gesessen!«
    Astrid richtet sich ebenfalls auf und straft unsere Freundin mit einem strengen Blick.
    »Dafür hast du jetzt Zora.«
    »Ja, aber ich wünschte manchmal, sie hätte mich nicht. Ich weiß, so etwas darf man nicht sagen, aber ich bin keine sonderlich gute Mutter. Ich dachte, so etwas liegt einem in den Genen, aber mir liegt es in den Genen, neue Rezepte zu kreieren, Gewürze auf dem Markt von Istanbul auf einen Spottpreis herunterzuhandeln und sie dann teuer in meinem Laden zu verkaufen. Ich beobachte mit größter Freude Menschen, denen meine Suppe schmeckt, und ich liebe es, wenn sie sich die Fingerspitzen lecken, nachdem sie meine Schokoladentarte gegessen haben. Das sind die Dinge, die mir liegen. Aber ein Kind zu haben, das liegt mir überhaupt nicht.«
    Sie steht unter Schock, sie hat gerade ihre Mutter verloren, versuchen Astrid und ich uns mit betretenen Blicken zu sagen.
    »Ach, und nur so fürs Protokoll. Ich habe zeitgleich zu eurem Elefantenritt nörgelnden Tanten Lockenwickler ins lila schimmernde Haar gedreht und ihre Fingernägel lackiert.«
    Lena und ich lachen.
    »Wir sollten langsam mal wieder zurückrudern«, meint Lena schließlich in weit weniger befangenem Ton als die letzten vier Tage. »Bleibt ihr beiden noch über Nacht?«
    Ich greife nach den Paddeln und tauche sie sanft in die Wasseroberfläche ein, um nach einer halben Bootsumdrehung wieder das kleine Haus der Landmuths anzusteuern. »Sehr gern. Ich kann auch morgen noch bleiben. Ich muss erst Montag wieder in die Werbeagentur.« Bei dem Gedanken daran krampfen sich meine Hände um die Holzgriffe der beiden Paddel.
    »Ach, das ist lieb, aber gar nicht nötig. Ich fahre mit Zora morgen auch zurück nach Köln, damit der Laden nur heute geschlossen ist.«
    »Es gibt doch sicher hier noch eine Menge zu erledigen«, sage ich.
    »Ich möchte zurück nach Köln!«, antwortet Lena gereizt. Das Lächeln auf ihrem Gesicht ist verschwunden und die Steifheit in ihrem Körper zurück.
    »Natürlich«, beschwichtigt Astrid, »und was wird aus dem Haus und dem Grundstück am See?«
    »Meine Mutter wollte, dass alles verkauft und die Hälfte vom Erlös dem hiesigen Kinderheim gespendet wird, in dem sie früher gearbeitet hat. Sie hat zwar kein Testament hinterlassen, aber mir immer wieder gesagt, dass sie es sich so wünscht. Es gibt auch schon einen Interessenten. Thomas bleibt noch hier und kümmert sich um die Abwicklung.«
    »Das ist sehr nett von deinem Mann«, bringe ich hervor, in dem Wissen, dass Marias letzter Wille sicherlich nicht Lenas erstem
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