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Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke

Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke

Titel: Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke
Autoren: Michaela Möller
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»heiraten« benutzt hätte. Und wahrscheinlich hätte Tim gestern nicht den Brautstrauß fangen dürfen. Ich hatte gleich so ein Gefühl, es sei ein schlechtes Omen.
    »Ich muss jetzt wirklich hoch. Du weißt, von Beziehungen habeich keine Ahnung.« In einem Ruck raffe ich die Einkaufstasche von meinen Fußspitzen vor meinen Bauch.
    »Und unser Notfallplan? Du musst einsehen, das ist ein Notfall.«
    Noch einmal drehe ich mich um, während ich merke, wie sich langsam ein nervöses Kribbeln in meinen Fingerspitzen ausbreitet. Ich greife nach einer der restlichen Fleischtomaten. In Gedanken sehe ich sie schon an Tims sonnengebräunte Stirn klatschen.
    »Nein. Es wäre ein Notfall, wenn du verlassen oder betrogen worden wärst. Nicht, wenn du ein Topangebot ausschlägst, weil du glaubst, dass der Supermarkt noch voll ist. Ich halte es für ausreichend, wenn eine Frau unter deiner Bindungsangst leidet.«
    Die Hand in der Einkaufstasche entkrampft sich langsam wieder und lässt die Fleischtomate frei. Im Grunde kann man meinem Nachbarn ja gar nicht vorwerfen, dass er die Gefahren der Liebe erkannt hat.
    »Mach’s gut, Tim.«
    »Hm. Okay. Aber eines Tages werde ich einen Notfall haben, Anna!« Tim zwinkert mir zu. Jetzt sind es mit Supermario schon zwei. Das ist eindeutig zu viel Charme für mich.
    *
    NOTFALLPLAN NO. 2
    ART DES VORFALLS: TRENNUNG (UNGEWOLLT)
    SCHWERE: MITTEL BIS SCHWER
    MAßNAHMENKATALOG:
    1. EINATMEN, AUSATMEN. GUCKEN, WAS PASSIERT. FALLS SCHMERZ NICHT NACHLÄSST, SOFORT ZU 2. ÜBERGEHEN
    2. SEX MIT DEM NACHBARN (WILD, ÜBERSCHWÄNGLICH, HEMMUNGSLOS)
    SO LANGE WIEDERHOLEN, BIS 1. NICHT MEHR ZUTRIFFT
    ZEITPLAN: UMGEHEND UMZUSETZEN
    KONTAKTPERSON: TIM SCHWARZER, 3. OG, TÜR AUF DER RECHTEN SEITE
    *
    Als die Wohnungstür hinter mir in ihren Rahmen fällt, atme ich so tief aus, dass mein Pony über die Stirn wirbelt. Noch ehe ich die Einkäufe wegräume, schiebe ich einen Teller voller Krümel, eine leere Müslipackung und die Zeitung an den Rand des alten Küchentischs und breite die Briefumschläge im frei gewordenen Bereich sorgfältig auf dem dunkeln Holz aus. Da liegen sie, meine Vergangenheit und meine Zukunft. Zusammengefasst in zwei großen Umschlägen, zwei kleinen und einer Postkarte. Bevor ich sie lese, reiße ich die Fenster in meiner Zweiraumwohnung auf, um die Hitze des Hochsommers durch kühlere Abendluft zu verdrängen, und verstaue die gekauften Lebensmittel. Anschließend streife ich das Shirt und den Rock von meinem verschwitzten Körper und schlüpfe unter eine lauwarme Dusche. Mit dem Abkühlen der Haut kehrt langsam wieder das Leben in meinen Körper zurück. Als ich aus der Dusche steige, fühle ich mich zehn Jahre jünger. Zum Glück bin ich das nicht wirklich. Ich setze mich in ein Handtuch gehüllt auf die Bettkante und beobachte den Vorhang, der vor dem Eisengeländer des Balkons in der lauen Abendluft tanzt. Großflächig creme ich meine nach Sonne duftende Haut ein, ziehe eines meiner langen, flattrigen Kleider über und wandle zum Balkon. Meine Hände umfassen die Eisenstreben, so dass der Ring an meinem Finger klimpert. Ich betrachte ihn und atme tief ein. Mein Exfreund heiratet eine andere, und ich tue nichts als ein- und ausatmen. Hatte ich das alles vielleicht noch nichtwirklich verstanden, und würde es mich, wenn die Geschehnisse bis zu meinem Verstand vorgedrungen waren, dann komplett umhauen?
    Sollte ich Angst davor haben?
    Maßnahmen treffen?
    Ich habe keine Ahnung.
    Hm. Wie dem auch sei.
    Sich über Dinge, die man nicht verstehen wird, den Kopf zu zerbrechen, ist wohl in etwa genauso sinnvoll, wie kochendes Wasser einzufrieren, für den Fall, dass man es irgendwann mal braucht.
    Also begebe ich mich mit einem Eistee bewaffnet zurück an den Küchentisch. Zögerlich streiche ich mit der Fingerspitze über eine der Umschlagkanten, bevor ich den Brief in die Hand nehme und sein Papier am oberen Ende zerfleddere. Gerade möchte ich den Inhalt des Umschlags auf den Küchentisch flattern lassen, als mein Handy klingelt. Langsam zuckt das Bild von meiner Freundin auf dem Handydisplay über den Küchentisch. Ich lege den Umschlag auf den Tisch zurück.
    »Selig sind die Ahnungslosen«, erinnere ich mich an die Worte meines Vaters, ein genügsamer Taxifahrer, der sehr gut damit gefahren war, nichts von den Affären meiner Mutter zu wissen – bis sie ihn und mich eines Tages aus heiterem Himmel verlassen hatte. Irgendwie hatte ich damals jedoch das Gefühl, dass mein Vater auf
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