Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Einundzwanzigster Juli

Titel: Einundzwanzigster Juli
Autoren: Ravensburger
Vom Netzwerk:
Musik, Spiele, Filmvorführungen, Ausflüge in die Umgebung ... im zweiten Jahr wohnten Antonia und ich dann beim Bauern und halfen im Stall und auf dem Feld.«
    Die Tür fliegt auf und ein Schatten auf mich zu. »Fritzi, du kommst augenblicklich ...«
    »Ick hab’s ihr schon jesacht, Frau Jräfin, aber se will ja nich hörn.«
    »Wir kreuzen die Arme!«, rufe ich. »Wir kreuzen die Arme und Oma Luchterhand setzt sich drauf. Zusammen schaffen wir das! Sie wiegt doch fast nichts.«
    Die Sirene ändert den Ton, jetzt schwillt sie auf und ab. Vollalarm! Oma Luchterhand schlägt meine Hände weg, die nach ihr greifen, und kreischt, was die Lungen hergeben: »Kommt! Kommt! Kommt alle her und macht ein Ende!«
    »Oma Luchterhand will nicht in den Keller, Fritzi«, sagt Mutter ganz ruhig.
    »Aber ... du kannst ... auf dich hört sie doch!«
    »Es ist ihre Entscheidung. Komm jetzt.«
    » Come here, Amis!« brüllt Oma Luchterhand. »Hier sind wir!« »Sie spinnt, merkst du das nicht?«, rufe ich entsetzt. »Sie weiß nicht mehr, was sie sagt!«
    »Ich glaube, sie weiß das sehr gut, Fritzi«, antwortet Mutter leise und nimmt mich am Arm.
    Fassungslos lasse ich mich mitziehen. Oma Luchterhands Stimme verklingt, noch bevor wir an der Treppe angekommen sind.
    Durch die Öffnung, wo einmal unsere Haustür war, fällt mein Blick auf verlassene Autos kreuz und quer auf der Straße und Menschen, die, vom Alarm überrascht, in umliegende Keller drängen. Der Luftschutzwart vom Haus gegenüber steht wie ein Fels: »Hier ist voll!«
    Man hastet weiter, noch ist Zeit, einen Unterschlupf zu finden. Vollalarm beginnt, wenn die Flugzeuge rund hundert Kilometer von uns entfernt sind. Meine Tante Lexi könnte jetzt auf die Sekunde genau berechnen, wann sie über uns auftauchen.
    Mein Koffer, vor nicht einmal einer Stunde mit mir angekommen und noch mit dem Geruch unserer warmen Stube in Oschgau, wartet bereits neben Mutters eigenem kleinen Notgepäck an der Wohnungstür. Sie reicht mir Handtücher aus dem Schrank, die ich tief ins Waschbecken tauche; die nassen Tücher nehmen wir in den Keller mit. Mutter wirkt nicht ängstlich, höchstens ein wenig resigniert: Der Alarm beginnt, bevor sie alles erledigt hat, was für heute anstand. Ich und die Amerikaner sind ihr dazwischengekommen.
    »Nimm dir zu lesen mit, das kann Stunden dauern. Manchmal werfen sie die Ladung erst auf dem Rückweg ab. Kennst du das schon? Und das?« In aller scheinbaren Ruhe nimmt sie Bücher aus dem Regal und hält sie mir fragend hin.
    Was soll das? Wenn Oma Luchterhand etwas passiert, ist das Mutters Schuld!
    Plötzlich vibriert der Boden. Eine unsichtbare Hand greift nach meiner Kehle – aber es ist nur die Straßenbahn, die heranpoltert, mitten auf der Strecke stehen bleibt und einen weiteren Schwall Menschen ausspuckt. Als Letztes rennt die Schaffnerin. Sie ist noch ziemlich jung, zwanzig vielleicht, hat ein munteres rundes Gesicht und ein Grübchenlächeln ohne Angst. Ein wenig außer Atem steht sie da, als wir eben aus der Wohnungstür treten.
    »Ist bei Ihnen noch Platz?«
    »Natürlich. Kommen Sie! «
    Wir laufen die Kellertreppe hinunter. Wir sind die Letzten, die eingelassen werden. Der Herr Geheimrat a. D. Becker, unser Luftschutzwart, prüft die Papiere der Schaffnerin und verriegelt hinter uns die Tür.

Z WEI
    Die alte Bechtolf sitzt natürlich neben dem Stützbalken. Giftig und herausfordernd schaut sie mich an, mich, den Neuankömmling: Mein Platz, dass du’s weißt!
    Was ich weiß ist, dass man sich in anderen Häusern zu zehnt, elft, zwölft um den Stützbalken drängt. Aber hier gibt es eine Bannmeile um Frau Bechtolf herum. Da sitzt niemand freiwillig. Am dichtesten noch die Beckers, der Geheimrat und seine Frau, aber die haben eine Barriere aus Koffern und Kisten errichtet.
    Feuchte Hitze schlägt mir entgegen, in der wie Nebelschwaden ein beißender Gestank nach Schweiß und Urin hängt; am liebsten würde ich die nassen Handtücher noch im Eingang aus der Tasche zerren und vor die Nase pressen. »Geh weiter, Fritzi, unser Platz ist hinten!«, weist mich Mutter an.
    Durch die Zähne atmend, steige ich über Beine, Koffer, Sandsäcke. Der schlechteste Platz, der unter dem Kellerfenster, ist der jungen Frau Koch, ihrem Söhnchen und einem Teil ihres Hausrats vorbehalten. Sie hat riesige Augen, Flecken im Gesicht, dünne, in alle Richtungen abstehende Locken – ein erschrockenes Äffchen, das auf der äußersten Pritschenkante kauert. Der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher