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Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Titel: Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman
Autoren: Helmut Krausser
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woanders, Bier und Zigaretten
gekauft, bevor ihm, spät in der Nacht, der Prophet Jesaja erschien. Der habe
zehn Euro von ihm bekommen. Dann habe er, Johnny, durch einen Hinweis des
Propheten, das schlafende Kind gefunden und zu seinen Eltern gebracht, auf
seinen immer noch schmerzenden Schultern.
    Nabel hörte sich das alles an. Eine Kneipe mit Namen Nachtmar gab es
immerhin. Er würde sich dort morgen umtun, die Angestellten befragen und so
weiter. Vorerst blieb Johnny in Haft. Nabel hatte die Eltern des Jungen darüber
informiert, in welchen Schwierigkeiten ihr Sohn steckte. Johnny bestand darauf,
jedes Geständnis zu unterschreiben, bliebe ihm nur die Konfrontation mit seinen
Eltern erspart. Kommissar Nabel fühlte sich durch dieses Angebot ernsthaft
versucht, den Fall abzuschließen, dann überlegte er es sich anders. Und ging
noch am frühen Freitagabend zu jener Kneipe, dem Nachtmar, wo man ihm, sehr
kooperativ, die Adresse der Kellnerin gab, die gestern hier Dienst gehabt
hatte.
    Maschjonka und Robert Pfennig diskutierten am späten
Nachmittag bereits darüber, ob eine Abtreibung nicht das Vernünftigste sei,
jetzt, wo Sonja wieder glücklich zu Hause war. Eigentlich hatte Robert gehofft,
seine Frau würde von selbst und mit einiger Selbstverständlichkeit diesen
Entschluß treffen; er wollte sie nicht zu etwas überreden, was ihm dann
vielleicht jahrzehntelang vorgeworfen werden würde. Drei Kinder seien, murmelte
er, eine schon sehr hohe Belastung für den Haushalt. Und der Zeugungsakt habe
ja doch unter, nun, sehr eigenartigen Vorzeichen stattgefunden.
    Maschjonka meinte, ein Kind sei ein Kind, wie und warum es zustande
gekommen sei, spiele keine Rolle, zudem sehe es ja so aus, als würde Swentja
bald komplett verludern, von daher gebe es doch Platz, man solle dieses
Geschenk der Natur nicht leichtfertig zurückweisen. Vielleicht sei dessen
Existenz sogar Gottes verschlungenen Pfaden entsprungen. Robert, im Gegensatz
zu seiner Frau ein erklärter und selbstbewußter Atheist, hob mißbilligend die
Brauen und tat, als habe er nicht richtig verstanden.
    »Du willst sagen, Gott hat eines unsrer Kinder mal eben für ein paar
Tage entführen lassen, um uns ein drittes unterzujubeln?«
    »Ich will sagen: Wir hätten eben beinahe unser Kind verloren. Und
nur, weil wir es nun wiederhaben, wollen wir ein anderes dafür opfern? Was für
eine Logik ist das?«
    Robert ahnte, daß die Diskussion bereits aussichtsloser war, als er
befürchtet hatte.

13
    Julia wollte den Sonntag nicht abwarten. Nein, es war
unmöglich, sie hielt es nicht mehr aus, rief den Escortservice an und bestellte
Vincent für Freitag, 18 Uhr zu sich in die Wohnung. Das war so ungefähr die
früheste Uhrzeit, die sie vor sich verantworten konnte, wollte sie nicht das
Gefühl haben, ihren Beruf komplett zu vernachlässigen. Es war ohnehin verrückt
genug, daß sie sich eines Kerls wegen zu derlei Kapriolen hinreißen ließ. Es
war geradezu schwachsinnig, das wußte sie selbst. Vielleicht ging es ja nur ums
Prinzip. Julia war nicht die Sorte von Frau, die sich mit Niederlagen
abzufinden verstand.
    Nabel zeigte seine Dienstmarke und stellte sich vor.
Minnie ließ den Kriminaler herein und nötigte ihm selbstgemachten Eistee auf.
Sie konnte sich an Johnny erst nicht erinnern, aber da sei gestern abend in der
Tat ein junger großmäuliger Araber gewesen, der, mitten im Lokal, von einem
Punk angepinkelt worden sei. Doch, jetzt kam ihr Johnnys Gesicht bekannt vor,
doch doch. Der sei mit dem Araber da gewesen, habe sich aber eher still
verhalten.
    Aus Minnies Schlafzimmer kam Ekki und fragte, worum es denn gehe.
Nabel sagte, der Junge stehe in Verdacht, mit der Entführung eines Kindes zu
tun zu haben.
    Ach, sagte Ekki, das sei ja interessant, aber er müsse nun los, und
Minnie, deren Schicht um achtzehn Uhr begann, wußte auch nicht recht, wie sie
dem Kommissar weiterhelfen konnte.
    »Der Junge hat etwas von einem Propheten Jesaja gefaselt, der ihm
frühmorgens auf dem Kreuzberg erschienen sei. Fällt Ihnen dazu was ein?«
    Ekki schüttelte den Kopf, Minnie aber wußte sofort, wer gemeint war.
»Den kennt doch hier jeder«, sagte sie, »son uralter Typ mit Jesuslatschen und
Kutte, der wirre Bibelsprüche von sich gibt.« Der komme auch manchmal ins
Nachtmar und trinke einen Almdudler aus der Flasche. Mit Strohhalm.
    Nabel notierte sich das.
    Ekki gab seiner Minnie einen Kuß auf die Stirn und fragte en passant
den Kommissar, ob es dem Kind denn gutgehe.
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