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Einsamen

Einsamen

Titel: Einsamen
Autoren: H Nesser
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betrachtete die schwulstige, knallbunte Skulptur in dem Steinrondell und dachte, dass sie sicher berühmt war. In einer Stadt wie Uppsala gab es eine Menge berühmter Sehenswürdigkeiten. Bauten, Gedenksteine, historische Plätze, und mit der Zeit würde er sich all das zu Gemüte führen – ruhig und zielstrebig, es gab in dieser Beziehung keinen Grund zur
Eile.
    Er ging weiter geradeaus, überquerte eine große, viel befahrene Straße und ein paar kleinere, und nach ein paar Minuten war er unten am Fluss. Fyris . Überquerte ihn auf einer Holzbrücke und sah den Dom und den alten Stadtkern sich rechts von ihm erheben, nickte zufrieden und lenkte seine Schritte dorthin.
    Jeder Mensch sollte einen großen und einen kleinen Plan
haben. Der große betrifft die Frage, wie man das Leben bewältigen will, der kleine, wie den Tag.
    Das war keine seiner eigenen kursiven Formulierungen, leider nicht, sie stammte von dem Studienrat Grundenius. Von allen mehr oder weniger eigenartigen Lehrern, auf die er während seiner drei Jahre am Vadsbo-Gymnasium gestoßen war, hatte Grundenius den größten Eindruck auf Rickard Berglund gemacht. Dominant und unberechenbar, zeitweise geradezu launisch, aber es war immer interessant, ihm zuzuhören. Oftmals sowohl überraschend als auch scharfsinnig in seinen Beobachtungen und Fragestellungen. Religion und Philosophie. Es gab das Gerücht, dass er gern schlechte Noten gab, aber Rickard hatte in beiden Fächern ein Gut bekommen; schwer zu sagen, ob er es wirklich verdient hatte. Schwer, seine eigenen Verdienste einzuschätzen.
    Auf jeden Fall hatte er einen kleinen und einen großen Plan. Während er weiter am Fluss entlang auf die Kathedrale zuschritt, deren spitze Türme sich leicht in dem mit Wolken betupften Himmel zu bewegen schienen, tauchte der große in seinem Kopf auf. Das Leben. Rickard Emmanuel Berglunds Zeit auf Erden, soweit sie sich erstreckte und gedacht war.
    Theologie.
    Das war der Grundstein. Den Acker wollte er bearbeiten, oder wie immer man es auch ausdrücken mochte. Er hatte zu keinem bestimmten Zeitpunkt den entsprechenden Entschluss gefasst, zumindest konnte er sich nicht daran erinnern, es war eher eine Entscheidung gewesen, die in ihm gewachsen war, unwiderruflich und schicksalhaft im Laufe einer ganzen Anzahl von Jahren. Vielleicht bereits mit der Muttermilch aufgesogen, denn es gab einen Gott, dessen war er sich während seines ganzen bewussten Lebens sicher gewesen, aber durch den Tod seines Vaters hatte er außerdem begriffen, dass es sich nicht um den sicheren und freundlichen Abendgebetsgott seiner Kindheit handelte, sondern dass die diesbezügliche Frage viel komplizierter war. Deutlich komplizierter.
    Wert, untersucht zu werden.
    Josef Berglund war Pastor der freikirchlichen Gemeinde der Aronsbrüder gewesen, ein früher Ableger der Missionskirche, doch die gebündelten Gebete der Gemeindemitglieder hatten in der letzten schweren Zeit das Leiden ihres Hirten nicht um einen Deut lindern können. Auch die seiner Ehefrau und seines Sohnes halfen nicht, und das war der Hauptgrund für Rickard Berglunds nuanciertes Gottesbild.
    Warum erhört er unsere Gebete nicht?
    Oder wenn er sie hört, warum kommt er dann nicht unseren bescheidenen Wünschen entgegen? Warum lässt er seine Treugläubigen leiden?
    Als er diese Fragen ein einziges Mal mit seiner Mutter Ethel diskutieren wollte, hatte sie ohne Umschweife erklärt, dass es dem Menschen nicht zustünde, sich Vorstellungen von Seinen tieferen Zielen und Beweggründen zu machen. Absolut nicht. Denn die vereinfachenden Interpretationen des Menschen bezüglich Gut und Böse waren aus einer größeren, jenseitigen Sicht immer zum Scheitern verurteilt. Nicht einmal so ein Ereignis wie das Leiden und der Tod eines einfachen, gottesfürchtigen freikirchlichen Pastors können wir letztlich abschließend beurteilen.
    Ungefähr so war ihre Argumentation gewesen. Aber Rickard Berglund wollte sich eine Vorstellung machen. Er forderte eine Erklärung, auch wenn seine Mutter behauptete, dass derartige Ambitionen geistigem Hochmut ähnelten, und an diesem Punkt endete meist ihr Gespräch. In dieser Sache ließ sie nicht mit sich reden; wenn es ein Kampf war, ein Ringen um Gott, um das es hier ging, dann war das eine Aktion, die er bitte schön allein auszutragen hatte. Rickard und der Herrgott? Der Sinn seines Lebens?
    Er erreichte das dunkle Portal. Die Umgebung des Doms badete geradezu in strahlendem Sonnenschein, aber die
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