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Einmal scheint die Sonne wieder

Einmal scheint die Sonne wieder

Titel: Einmal scheint die Sonne wieder
Autoren: Betty McDonald
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Form von gutem Essen, hatten wir Masern, Ziegenpeter, Windpocken, Influenza, Scharlach, Keuchhusten und Mandeloperationen gehabt. Nach dem letzten Schub Röteln nun fing Vater an, den gesundheitlichen Veranlagungen auf beiden Seiten der Familie nachzuforschen. Er stellte fest, daß sie ausgezeichnet waren. Mutters Ahnen waren Holländer und hatten alle fünfundachtzig oder neunzig Jahre tätig gelebt. Mutter selbst war niemals krank. Vaters Vorfahren waren Schotten und fürchterlich gesund. Und Vater brachte das Äußerste an Widerstandsfähigkeit auf, indem er sich trotz Gammys Küche zu einem großen, hübschen, kräftigen Mann entwickelte.
    Vater entschied, daß alles, was seine Kinder brauchten, eine vernünftige Kräftigung sei, kaufte also eine Serie von Gymnastik-Schallplatten für das Grammophon und ließ uns um fünf Uhr morgens aufstehen, damit wir kalte Bäder nahmen und Übungen machten. Er schrieb uns beim Christlichen Verein Junger Männer und Junger Mädchen für Turnstunden ein. Er ließ Mary und mich mit Ballettstunden anfangen. Das Gesellschaftszimmer im Erdgeschoß unseres Hauses ließ er in einen Gymnastikraum umwandeln. Wir durften kein Salz mehr essen. Er verbot uns, zu den Mahlzeiten Wasser zu trinken. Er befahl uns, jeden Bissen hundertmal zu kauen. Er kaufte Wagenladungen von Äpfeln und ließ uns steinharten Toast und rohe Gemüse essen. Er las uns lange, langweilige Artikel vor über natürliche Ernährung und die Diät der Ureinwohner in verschiedenen Ländern.
    Offensichtlich hatte irgendein Stamm mit gutem Knochenbau und gesunden Zähnen ausschließlich geräucherten Fisch gegessen, denn Vater kaufte einen Zentner geräucherten Hering und wies uns an, nach der Schule darauf herumzukauen. Zu unserem Glück gab er Mutter die Anweisungen und den Hering gerade, als er zu einer Reise durch Bergwerke aufbrach, und so half sie uns, die gesamten hundert Pfund in den Ofen zu kehren. Als er so ungefähr einen Monat später zurückkam, hatte er den Hering ganz vergessen und bestellte einen riesigen Segeltuchsack mit Schiffszwieback, an dem wir nach der Schule knabbern sollten. Wir aßen die ganze Portion schließlich auf, weil Gammy uns zeigte, wie man ihn aufweichte, indem man ihn in heißen Kakao oder Taylor-Tee (heißes Wasser mit Zucker und Milch) eintauchte. Außerdem kaufte er hundert Pfund Erdnüsse, „ein natürliches Nahrungsmittel mit hohem Proteingehalt,“ das uns schon besser gefiel. Wir aßen Erdnüsse gern und stopften uns morgens und abends die Taschen voll. Wochenlang sagte Mutter, sie könne die schmalen Spuren unserer Erdnußschalen zur Schule hin und zurück und überall in der Nachbarschaft verfolgen. Zu ihrem großen Verdruß aber auch durchs Haus.
    Als Vater zuerst mit den kalten Bädern anfing, nahm er uns beim Ehrenwort, und so schummelten wir natürlich. Wir pflegten vollständig angezogen ins Badezimmer zu gehen und das kalte Wasser geräuschvoll und stark laufen zu lassen. Dann, wenn die Badewanne voll war, beugten wir uns darüber, bespritzten unsere Hände und schrien, als ob wir hineinsprängen. Eine gesegnete Woche lang kam nicht ein Tropfen kaltes Wasser, in Wirklichkeit nichts von irgendwelchem Wasser an unsere unschuldigen kleinen Körper. Vater sagte nichts. Er sah nur prüfend zu, wie wir uns jeden Morgen zu unseren Übungen aufstellten, mit schmeichelndem Lächeln, völlig trocken und offensichtlich warm und zerzaust vom Bett. Dann ging er in die Stadt und kaufte ein paar große, braune, rauhe Frottiertücher, und von da ab überwachte er die Tortur persönlich.
    Wir mußten hineinsteigen und bis zum Kopf untertauchen, während er langsam bis zehn zählte. Dann, wenn wir bibbernd und unglücklich herauskamen, rieb er uns mit einem der großen Frottiertücher fast alle Haut von unseren blauen, kleinen Körpern ab. Diese Handtücher müssen aus einer sehr billigen Qualität von Hanf hergestellt gewesen sein, denn außer daß sie furchtbar rauh waren, hatten sie gelegentlich kleine Splitter, was bei dem Opfer laute Schreie hervorrief.
    Gammy pflegte jeden Morgen um fünf Uhr mit uns aufzustehen, nicht weil sie glaubte, das sei gesund, sondern damit sie oben in der Diele stehen und jammern konnte: „Darsie, du treibst die armen kleinen Kiinder direkt in die Schwindsucht,“ wenn Vater uns aus unseren warmen Betten in das eiskalte Bad jagte. „Vollkommene Gesundheit für jeden Menschen“ war Vaters Wahlspruch geworden, und so hielt Gammy den Mund über Aussatz,
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