Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einmal Himmelblau und zurueck

Einmal Himmelblau und zurueck

Titel: Einmal Himmelblau und zurueck
Autoren: Andrea Bielfeldt
Vom Netzwerk:
Ecke und die Küche ist bis Mitternacht geöffnet«, sage ich und zeige in die Richtung, in die ich glaube, gehen zu müssen. Meine Orientierung ist ebenso wenig vorhanden wie mein Wiederfindungssinn. John scheint das nicht zu stören.
    »Hört sich gut an. Ich habe einen Bärenhunger.« Willkommen im Club. Seit dem Brötchen heute Morgen habe ich literweise Kaffee und zwei Glühwein in mich reingeschüttet, aber nichts mehr gegessen. Außer einer halben Tüte Mandeln natürlich.
    »Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich mich aber gerne vorher umziehen. Also ... weil es sonst doch ein bisschen warm wird in den Klamotten.« Ich schaue an mir herunter. An meinem Outfit hat sich leider nichts geändert.
    Ich wünsche mir schon lange einen körpereigenen Kleiderschrank, der je nach Bedürfnis die Kleidung am Körper wie unsichtbar wechselt. Das wäre eine echte Marktlücke. Vor allem für uns Frauen. Und heute ganz besonders.
    Ich zucke entschuldigend mit den Schultern. »Ich wohne auch nicht weit weg. Du kannst ... also ... Willst du schon vorgehen ins Steakhaus oder –« Weiter komme ich nicht. Wie wild schüttelt er den Kopf und seine schwarze Beanie, die er lässig über seinen halblangen blonden Haaren trägt, wippt hin und her.
    »Nein, ich bringe dich natürlich nach Hause. Das macht man doch so«, setzt er hinterher, als ich erstaunt gucke.
    »Wow!« Da muss erst ein Mann aus Kanada kommen, um zu erklären, was der Männerwelt verdammte Pflicht wäre. Ich nicke langsam. »Ja, das macht man so. Ich ... ich beeil mich auch.«
    »Okay.« Mehr sagt er nicht, aber sein Gesicht spricht Bände. Er ist ein Mann. Er glaubt einer Frau nicht, wenn sie sagt, dass sie sich beeilt. Schon gar nicht, wenn es um Kleidung geht. Ich kann ihn ja verstehen, trotzdem kränkt es mich und ich nehme mir vor, es ihm zu beweisen. Im Geiste gehe ich schon mal durch meine Wohnung, suche im Wohnzimmer nach meiner Lieblingsjeans, im Korb mit der Bügelwäsche nach meinem Lieblingskapuzenpullover und in der Schublade nach frischer Unterwäsche. Man kann ja nie wissen.
    Siedendheiß durchfährt mich der nächste Gedanke: Habe ich aufgeräumt? Wie schlimm sieht meine Bude aus? Kann ich ihn hineinlassen? Oh, ich würde so gerne. Und sollte dieser Mann mein erster One-Night-Stand werden – ich würde ihn nicht von der Bettkante schubsen. Schnell beiße ich mir auf die Lippen.
    Auch wenn ich manchmal davon träume, anderer Leute Gedanken lesen zu können, bin ich in diesem Moment heilfroh, dass es diese Erfindung noch nicht gibt. Allein die Vorstellung, John hätte meine geheimen Fantasien mitgeschnitten, lässt mich rot anlaufen. Ich bin wahrlich kein Kind von Traurigkeit, aber das wäre dann die dritte Peinlichkeit an diesem Abend in Folge und mein Charme alleine könnte das wohl auch nicht mehr rausreißen. Zur Sicherheit werfe ich ihm einen Seitenblick zu, aber er bemerkt es nicht. Er ist damit beschäftigt, sich im Gehen eine Zigarette zu drehen. Fasziniert sehe ich ihm dabei zu. Ich habe das nie hinbekommen. Meine Kippen sahen immer aus wie vergewaltigte Joints und nach einigen Versuchen hab ich es bleiben lassen. Wobei mir einfällt, dass Rauchen jetzt eine gute Idee ist.
    Rauchend und schweigend spazieren wir die Einkaufsstraße entlang. Überall brennt die Weihnachtsbeleuchtung. Nur noch drei Wochen bis zum Heiligen Abend. Noch vier bis zum Jahresende. Oder Neuanfang. Wie man will.
    Mein Jahr war mehr als beschissen und Bilder der mir wichtigsten Menschen rasen wie in einem Jahresrückblick an mir vorbei. Ich kann es nicht verhindern.
    Stefan und Dad. Ich schlucke und inhaliere hastig den Rauch meiner Zigarette.
    Es kann nur besser werden , denke ich und blinzele nach oben in den Himmel. Noch Schlimmeres kann ein einzelnes Jahr nicht für eine Person bereithalten und ich schicke ein kurzes Stoßgebet in die Dunkelheit.
    Nicht heulen jetzt! , ermahne ich mich streng und versuche, die Bilder aus meinem Kopf zu jagen, indem ich mit dem Fuß eine Dose wegkicke. Es scheppert.
    »Aye, was machst du?« John scheint sich erschrocken zu haben. Jetzt, wo ich drüber nachdenke – er war auch sehr still. Ich hoffe nicht, dass er es schon bereut, mit mir zusammen zu sein.
    »Sorry, ich wollte dich nicht aus deinen Gedanken holen«, entschuldige ich mich.
    »Ich habe nicht gedacht. Ich habe dich beobachtet«, sagt er. Ich hoffe, die gestauten Tränen hat er nicht gesehen.
    »Mich beobachtet?« Meine Stimme macht einen Kiekser. Er nickt.
    »Ja. Du
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher