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Einmal Himmelblau und zurueck

Einmal Himmelblau und zurueck

Titel: Einmal Himmelblau und zurueck
Autoren: Andrea Bielfeldt
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abgeht. So kann ich mich noch schnell frisch machen, bevor ich in die neuen Klamotten schlüpfe.
    Ich habe den Luxus, eine Wohnung mit zwei Bädern zu besitzen. Das mit der gemütlichen Badewanne auf Löwenfüßen grenzt an mein Schlafzimmer. Ein Zweites geht vom Flur aus ab und hat eine Dusche, ein WC und das obligatorische Waschbecken. Das nutzen die Gäste, wenn ich Besuch habe. Nur habe ich hier nie viel Besuch. Alle meine Freunde sitzen in London und die, die ich hier habe … Tja, das letzte Mal war es Tom, der mich bei sich aufgenommen hat, und nicht umgekehrt. Doch das ist ein Thema, über das ich jetzt nicht nachdenken möchte. Ebenso wenig will ich darüber nachdenken, ob ich es überhaupt zulassen darf, mich zu verlieben. Doch ich ahne, dass es für einen Rückzug sowieso schon zu spät ist.
    »Verschwinde!«, flüstere ich deshalb. »Lass mich in Ruhe. Bitte!« Ich verdränge die Bilder von Stefan, die in mir aufsteigen, und bekämpfe das schlechte Gewissen, das ich nicht haben sollte.
    Ich höre Musik. John muss die Anlage eingeschaltet haben. Was habe ich heute gehört? Ach ja. Linkin Park . Das ist cool und es vertreibt die düsteren Gedanken in meinem Kopf sofort. Ich grinse, als Shadow of the Day ertönt. Eines meiner Lieblingsstücke. Einfach genial. Genial einfach.
    Im Takt wippend putze ich mir noch schnell die Zähne, bürste mir die Haare durch und ziehe den Lidstrich nach. Und da sag nochmal einer, Frauen wären nicht multitaskingfähig. Ha!
    Nach genau sechseinhalb Minuten bin ich soweit wiederhergestellt und reiße die Tür auf. »Fertig«, rufe ich sicherheitshalber über den Flur hinweg, während ich mir meine weniger nach Schneekatastrophe aussehenden Stiefel aus dem Schuhschrank nehme. Die Musik verstummt.
    »Du hast einen guten Musikgeschmack«, höre ich ihn neben mir sagen.
    »Ich weiß«, sage ich selbstsicherer, als ich mich fühle. Als ich mich aufrichte, steht er gefährlich nahe bei mir. Ich schlucke und mir fällt in diesem Moment der Spruch ein, den ich erst heute Morgen auf Facebook gelesen habe:
    Du kannst die Augen verschließen vor dem, was du nicht sehen willst. Aber nicht dein Herz vor dem, was du nicht fühlen möchtest. Verdammt!
    Ich hätte nie gedacht, dass ich nach der Geschichte mit Stefan jemals wieder etwas fühlen würde ...
    Sein ganz eigener Geruch nach Mann lässt mich schwanken. Vielleicht ist es auch nur mein Kreislauf, aber Fakt ist, dass mir schwindelig wird. Ich halte mich am Schuhschrank fest und schließe kurz die Augen, merke, wie er mich sanft an den Schultern festhält und als ich meine Lider wieder öffne, blicke ich direkt in ein himmelblaues Meer. Und dann spüre ich seine Lippen auf meinen.
    Göttlich ...
    Ich bin achtundzwanzig Jahre alt, hatte beziehungstechnisch eine bewegte Vergangenheit, aber noch nie einen One-Night-Stand. Ich habe schon viele Männer geküsst, aber noch nie, noch nie, nie, niemals habe ich etwas auch nur annähernd Ähnliches gefühlt wie in diesem Moment.
    Er schmeckt nach Kaugummi und Glühwein. Seine Lippen fühlen sich weich und rau zugleich an und als ich mich leidenschaftlich an ihm festkralle, um nicht umzufallen, bemerke ich die Muskeln unter seinem Sweatshirt. Oh. Mein. Gott.
    Ich würde mich ja gerne kneifen, nur um sicherzugehen, dass ich nicht träume, aber das gibt immer so hässliche blaue Flecken. Dann lieber fest dran glauben.
    Doch noch während ich in diesem Kuss versinke, denke ich darüber nach, was passieren wird, wenn wir uns voneinander lösen. Die Maschinerie in meinem Kopf ist angeworfen und lässt sich nicht mehr stoppen. Mist. Ich denke nach. Und das, obwohl ich hier den Mann des Jahrhunderts küsse.
    Ich registriere, wie der Druck auf meinen Lippen nachlässt. Gleich wird er sich lösen. Und dann? Ich fange an zu zittern und bin plötzlich fürchterlich nervös. Als wäre ich wieder dreizehn und würde meinen ersten Kuss erleben ...
    Er war achtzehn und ich dachte, ich müsste ihm zeigen, wie cool und erfahren ich bin. Das konnte nur nach hinten losgehen, in zweierlei Hinsicht. Erstens konnte ich den Kuss nicht genießen, weil ich nur an das Danach dachte. Wie jetzt auch. Und zweitens biss ich ihm – weil ich ja so cool sein wollte – in die Zunge. Und dabei hatte ich doch nur knabbern wollen.
    Jetzt, viele Jahre später, kann ich darüber lachen, doch damals war das eine Erfahrung, die ich mir lieber erspart hätte ...
    Johns Lippen lösen sich. Ich traue mich nicht, die Augen zu öffnen, doch
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