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Einmal Himmelblau und zurueck

Einmal Himmelblau und zurueck

Titel: Einmal Himmelblau und zurueck
Autoren: Andrea Bielfeldt
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kann. Es ist seine Wohnung, die er bewohnt hat, wenn er beruflich in Deutschland war. Doch seitdem er im Rollstuhl sitzt, sind drei Stockwerke ohne Fahrstuhl nicht mehr zu bewältigen.
    Ein Auto hupt und holt mich in die Gegenwart zurück. Fast wäre ich unter die Räder gekommen. Puh, das war knapp. Ich bleibe mit zitternden Knien stehen und entschuldige mich bei dem Fahrer per Handzeichen.
    »Danke«, flüstere ich gen Himmel und setze meinen Weg achtsamer fort.
    Im Brauhaus wartet Ben schon auf mich. Er macht sich ganz gut und hat den Laden prima im Griff, wenn ich nicht da bin. Unsere anfänglichen Schwierigkeiten haben wir schnell beigelegt und seitdem läuft es. Ich bin dankbar, dass er da ist und mir unter die Arme greift. Außerdem ist er seit Kurzem fest mit Nikki zusammen. Die beiden geben ein schönes Paar ab und ich bin froh, dass es ihnen gut dabei geht.
    Nur eine Stunde später mache ich mich auf den Weg an die Bude. Nikki wartet schon auf mich.
    »Gib ihr einen Kuss von mir«, wirft Ben mir hinterher und ich lache.
     
    »Hey, Jo. Wird Zeit, dass du kommst«, ruft sie mir über die Köpfe der Leute hinweg zu. Ja, das sehe ich auch. Es ist voll auf dem Markt und die Hütte brummt. Schnell suche ich mir einen Weg durch das Gedränge, betrete die Hütte durch die Hintertür und gebe ihr einen Kuss auf die Wange.
    »Der ist von Ben«, sage ich und ab da habe ich keine Zeit mehr zu verschnaufen.
    Der letzte Tag vor Weihnachten. Stress pur. Ich liebe es.
     
    Es ist fast halb zwölf, als ich die Hütte zumachen kann. Nikki ist zu Ben ins Brauhaus abgedampft, um ihn dort zu unterstützen. Ich habe jetzt frei.
    Ziemlich kaputt und irgendwie auch sentimental schnappe ich mir meine Schlittschuhe und eine Flasche Rum, schließe ab und laufe rüber zur Eisbahn. Ich vergewissere mich, dass ich wirklich alleine auf dem Platz bin, und klettere hinüber auf das Eis. Gegen die Bande gelehnt ziehe ich mir die Schuhe an, stöpsel mir die Kopfhörer meines Smartphones in die Ohren und stelle die Musik auf laut. Dann laufe ich los und drehe meine Runden. Es hilft mir, den Kopf freizukriegen.
    Heiligabend.
    Ich denke drei Wochen und ein Jahr zurück.
    »Fuuuuuuck off!«, schreie ich.
    Ich werde langsamer, kratze mit den Kufen über das Eis, bis ich an meiner Tasche ankomme, rutsche an der Bande hinunter und lasse mich auf sie fallen. Nachdem ich mir eine Zigarette angezündet habe, lehne ich mich zurück und schließe die Augen. »Fuck off! Warum gehst du nicht aus meinem Kopf? Lass mich doch endlich mein Leben leben ...« Der Schluck Rum kratzt in meiner Kehle, aber er brennt auch die Schmerzen weg.
    Ein Jahr ist es jetzt her, und es tut noch immer weh. Wie lange denn noch? , frage ich mich. Wie lange werde ich daran zu knabbern haben? Noch ein Jahr? Oder zwei? Oder für immer?
    Langsam fällt der Druck, der mich die ganzen letzten Monate zusammen und aufrecht gehalten hat, von mir ab. Ich merke, wie ich anfange zu zittern und dann, nach und nach, bricht der Damm. Ich schluchze erst leise, dann immer mehr, bis es wie Sturzbäche über mein Gesicht läuft.
    Lange habe ich nicht mehr geweint. Habe mich zusammengerissen, es zurückgehalten und so getan, als wäre ich stark. Doch jetzt, in der Nacht zum Heiligen Abend, bröckelt die Fassade. Ich kann einfach nicht mehr. Ich bin durch.
    Ich weine um alles. Um meinen Dad. Um Stefan. Um meine Mom. Um Tom. Um Lynn und ... um John.
    One day maybe we'll meet again ...
    Ich führe die Flasche an meine Lippen und nehme einen kräftigen Schluck.
    Der Player ist irgendwann am Ende angelangt und es wird still um mich herum. Ich wische mir mit der Hand die Tränen vom Gesicht und öffne die Augen.
    Bäm!
     

        Déjà-vu
    Ich glaube zu träumen. Ein schöner Traum allerdings und ich merke, wie sich mein Gesicht zu einem Lächeln verzieht. Und dann zu einem Lachen. Und dann lache ich und lache und lache ... Jetzt bist du endgültig übergeschnappt, Jo! , denke ich und frage mich, wann sie mich abholen werden, die Männer mit den weißen Jacken. Aber vorher ...
    ... vorher strecke ich die Hand nach ihm aus und erwarte, dass sie durch ihn hindurch greift, aber ganz bestimmt nicht, dass ich ihn fühlen kann. Er ist echt. Er ist tatsächlich zurückgekommen.
    Quatsch!
    Ich kann nicht anders, kneife die Augen zusammen, lasse meinen Kopf nach hinten an die Bande fallen und nehme noch einen Schluck aus der Flasche. 40% jagen durch meinen Körper und ich hoffe, dass sie mir helfen,
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