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Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)

Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)

Titel: Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)
Autoren: Josef H. Reichholf
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Christianisierung der Germanen und Slawen kam schleppend voran, bis sich neue, hinreichend stabile Machtstrukturen gebildet hatten. Die Menschen lebten sehr isoliert voneinander in ihren örtlichen und regionalen Gemeinschaften. Die Völkerwanderung selbst hatte sicherlich ganz erhebliche Verluste an Menschenleben verursacht, so dass es zwischen dem 3. und 8. Jahrhundert wahrscheinlich insgesamt zu einem Bevölkerungsrückgang in weiten Teilen Europas gekommen war. Es lag nicht allein an den vielen Toten, die bei den jahre- und jahrzehntelangen Wanderungen buchstäblich auf der Strecke geblieben waren, und an den kriegerischen Auseinandersetzungen unterwegs, dass die Bevölkerung insgesamt abnahm, sondern auch an der häufig sehr ungünstigen Witterung. Die Klimaverschlechterung in dieser Periode war wohl der Hauptverursacher der großen Verschiebung der Völker. Diese drückten von Osten und Norden nach Süden und Südwesten, also zum günstigeren Klima hin. Erst mit Beginn der mittelalterlichen Warmzeit, die ihre Höhepunkte im Hochmittelalter zwischen 900 und 1200 erreichte, verbesserten – und stabilisierten – sich die Verhältnisse. Die Bevölkerung wuchs, so dass es im zentraleuropäischen Großraum vor Beginn der erneuten Klimaverschlechterung um 1350 und dem ersten großen Seuchenzug der Pest (1347–1352) wahrscheinlich über 70 Millionen Menschen in Mitteleuropa gab. Diese Bevölkerungszunahme erzwang die Ausweitung der landwirtschaftlichen Produktionsflächen. Ermöglicht wurde sie vom dafür günstigen Klima, das auch umfassende Trockenlegungen von Mooren und Sumpfgebieten zuließ. Diese Kultivierungsleistung wurde hauptsächlich von Klöstern erbracht. Die großen, vom Römer Tacitus in seiner Germania als »finster« beschriebenen Wälder wurden gerodet, bis nur noch sehr wenig Wald überhaupt übrig war. Zur erneuten Ausbreitung von Wäldern kam es, als die Pest, die bis über ein Viertel der Bevölkerung, örtlich noch größere Anteile davon, dahingerafft hatte, und durch häufige Missernten ausgelöste Hungersnöte über die spätmittelalterliche Gesellschaft hereinbrachen. Zeitgleich rückten in den Alpen die im Hochmittelalter fast verschwundenen Gletscher wieder vor. Ihre Eismassen überdeckten Zeugnisse früheren Bergbaus in großen Höhen, wie in den österreichischen Hohen Tauern. Ich komme darauf zurück.
    Das Spätmittelalter und, nach einem knappen Jahrhundert günstigeren Klimas, die frühe Neuzeit waren für große Bereiche Mittel- und Mittelosteuropas schlechte Zeiten, in denen vielfach Hunger und Krankheiten die Menschen heimsuchten und Kriege nicht mehr aufzuhören schienen. An die Stelle des heiteren Minnesangs im Hochmittelalter mit fröhlichen Ritterspielen waren, meisterhaft von Albrecht Dürer dargestellt, »Ritter, Tod und Teufel« (1513) getreten. Die Neue Welt Amerikas blieb zunächst weitgehend den damaligen Westmächten Portugal und Spanien, später den Franzosen und Briten sowie den Holländern in Fernost (Indonesien = Holländisch Indien) vorbehalten. In dieser Zeit des Übergangs vom Mittelalter in die Neuzeit formten sich die Märchen und Legenden, die Sagen und die Fabeln aufs Neue. Aus den mündlichen Überlieferungen, die sich sehr rasch sehr stark verändern konnten, wurden schriftliche mit der Entwicklung des Buchdrucks, in dem nun auch Bilder vervielfältigt werden konnten. Diese Bilder prägten die weiteren Vorstellungen von Fabelwesen, wie den Drachen, viel stärker als die Erzählungen. Denn diese schränkten die Phantasie nicht nur nicht ein wie die gedruckten Bilder, sondern regten die Zuhörer an zu individueller Ausschmückung.
    Wenn diese Überlegungen im Großen und Ganzen zutreffen, liegen rund 1000 Jahre zwischen den wirklichen Drachen und ihrer Umformung zu Fabelwesen bzw. zu ihrer Verkörperung des Bösen. Ein Jahrtausend ist eine lange Zeit. Vielleicht ist diese Zeitspanne sogar zu kurz gegriffen und die Drachenzeit reicht noch weiter zurück. Dies besser zu klären ist eine Herausforderung an die historische Wissenschaft. Aber vielleicht gibt es Lösungen auf anderen Wegen. Denn wenn meine Deutung stimmt, dass die Drachen getarnte Schatzsucher gewesen waren, sollten deren Funde noch zu finden und mit modernen physikalischen Methoden nach Herkunft zu bestimmen und nach dem ungefährem Alter zu datieren sein. Damit kommen wir wieder zurück zur Ausgangsfrage, woher die Schatzsucher gekommen waren. Die Völkerwanderungszeit stellt lediglich eine
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