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Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)

Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)

Titel: Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)
Autoren: Josef H. Reichholf
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Übersetzer, die ja vornehmlich in Klöstern tätig waren, mit den Tieren, Pflanzen und den Umständen der ihnen fern liegenden Gegenden sowie mit den historischen Gegebenheiten nicht vertraut waren. Umso mehr fügte der Aberglaube hinzu oder passte an, ganz nach Bedarf. Vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit war den Interessierten der Zugang zu den alten Schriften in doppelter Weise verwehrt. Sie kamen an die Pergamente und an die Bücher nicht heran, weil es diese nur in manchen Klöstern gab, wo sie weitestgehend unzugänglich gehalten wurden. Und die meisten Menschen, die sich selbst aus eigenen Beobachtungen gute Kenntnisse über Tiere und Pflanzen angeeignet hatten, konnten gar nicht lesen. Vieles, was sie sahen, verstanden sie nicht, weil ihnen die entsprechende Bildung fehlte. Erzähler und Erzählungen machten in der Bevölkerung die Runde. Mit jeder Wiederholung kamen Ausschmückungen hinzu. Es wurde weggelassen, was gerade unwichtig erschien. Geschichten wurden, mit Moral unterlegt, zu Fabeln. Nicht einmal unsere Zeit mit den so großartigen technischen Möglichkeiten schafft bekanntlich die inhaltsgetreue Weitergabe und Verbreitung von Informationen.
    Die meisten Menschen sind allerdings gar nicht so sehr auf zutreffende Information und Wissen erpicht. Das Geheimnisvolle erregt sie mehr. Die Illusion reizt. Die Wirklichkeit allein genügt nicht. Sie ist entweder zu banal und daher langweilig geworden, oder zu nüchtern, zu fordernd, so dass man lieber nichts damit zu tun hat. Man klinkt sich immer wieder aus ihr aus, um sie besser ertragen zu können. Doch ganz verlassen kann man die Wirklichkeit auch nicht. Jede Illusion braucht einen realen Hintergrund. Nur damit wird sie zur guten Illusion. Science-Fiction-Autoren wissen das. Ihre Figuren tragen menschliche Züge, positive wie negative. Auch die verrücktesten Ausgeburten menschlicher Phantasie erfüllen Grundkategorien wie »gut/schön/edel« und ihre Gegenstücke »böse/schrecklich/verderblich«. Wo nichts Menschliches vorhanden ist, werden keine Emotionen geweckt. Erdbeben, Tsunamis oder Vulkanausbrüche bleiben Naturereignisse, solange sie keine Menschen und Tiere zugrunde richten. Erst unsere Anteilnahme macht sie zu Katastrophen. In allem, was uns bewegt, steckt das Menschliche. Das gilt auch für die Fabeltiere. Das ist die zweite Grundannahme, der ich folge.
    Die Faszination, die von Drachen, Einhörnern, Phönixen und anderen Fabelwesen ausgeht, enthüllt bei genauerer Betrachtung wesentliche Aspekte unserer Menschennatur. Wir werden weit mehr von Gefühlen als von der Vernunft gesteuert. Das Geheimnisvolle lockt uns viel stärker als das Entdeckte und Aufgeklärte. In der Forschung ist das nicht anders. Im Wesentlichen bereits Bekanntes genauer zu belegen wird als langweilige Routinearbeit empfunden. Die Widerlegung einer gängigen Deutung ist schon reizvoller. Richtig spannend ist hingegen das Unbekannte, das Rätselhafte. Gewiss war das auch der tiefere Grund dafür, dass mich die Fabeltiere reizten. Ich wollte wissen, was in ihnen steckt oder hinter ihnen verborgen ist. Welches Tier, so fragte ich mich, mag das Vorbild für das Einhorn oder für den Phönix gewesen sein? Und weshalb wurden gerade diese Tiere zu Fabeltieren? Haben/hatten sie besondere Qualitäten? Was dichteten ihnen die Menschen darüber hinaus an? Sicher gab es gute Gründe dafür, dass sich das Fabelhafte entwickelte und ausgebreitet hat; dass es Jahrhunderte oder Jahrtausende überdauerte und schließlich bis zur Unkenntlichkeit des Anfangs mutierte. Auch diese besonderen Gründe wollte ich suchen.

Der Phönix
    Sich wie ein Phönix aus der Asche zu erheben ist zum vielfach gebrauchten, geradezu geflügelten Wort geworden. Bekanntlich verbrannte dieser mythische Vogel und entstand danach neu, noch schöner als vorher, aus seiner eigenen Asche. Daher steht der Phönix symbolhaft für Wiedergeburt und Überwindung des verloren Geglaubten.

Der Ursprung des Phönix
    Sein Name ist altgriechischen Ursprungs. Phoinix bedeutete flammendes Rot. Der Mythos des Phönix reichte jedoch weit über Griechenland und den östlichen Mittelmeerraum hinaus. Altägyptisch hieß der Phönix benu . Das bedeutete der Wiedergeborene oder der Erstgeborene (Sohn). Benu erschien selten, in der Regel nach langer Abwesenheit, die Jahrhunderte dauerte, verbrannte nach seiner Ankunft in der Glut der aufgehenden Sonne und stand verjüngt aus seiner Asche wieder auf. Herodot, der bedeutendste
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