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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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aus; und der Inspektor fragte leise: »Sind wir hinter entsprungenen Irren her?« Der Kellner fuhr mit einigem Vergnügen an der verrückten Geschichte fort:
    »Für eine Sekunde war ich so verdattert, daß ich mich nicht rühren konnte. Der Mann ging raus und direkt um die Ecke zu seinem Freund. Dann gingen sie so schnell die Bullock Street rauf, daß ich sie nicht mehr einholen konnte, obwohl ich dazu durch den Ausschank rannte.«
    »Bullock Street«, sagte der Detektiv und schoß so schnell jene Durchfahrt hinauf wie das seltsame Paar, das er verfolgte.
    Ihr Weg führte sie jetzt zwischen nackten Ziegelwänden hin wie durch Tunnel; durch Straßen mit wenigen Laternen und sogar mit wenigen Fenstern; durch Straßen, die aus den kahlen Rückseiten von Irgendwas aus Irgendwo erbaut schienen. Das Dunkel vertiefte sich, und selbst für die Londoner Polizisten war es nicht leicht zu erraten, welche Richtung genau sie nun verfolgten. Der Inspektor war sich immerhin ziemlich sicher, daß sie schließlich irgendwo bei Hampstead Heath herauskommen würden. Plötzlich durchbrach eine gewölbte gasbeleuchtete Schaufensterscheibe das blaue Zwielicht wie eine Blendlaterne; und Valentin blieb einen Augenblick vor einem kleinen grellen Süßwarenladen stehen. Nach einem Moment des Zögerns trat er ein; er stand mit vollendeter Ernsthaftigkeit zwischen den fröhlichen Farben der Zuckerbäckerei und erwarb nach sorgfältiger Wahl 13 Schokoladezigarren. Offensichtlich bereitete er eine Gesprächseröffnung vor; aber dessen bedurfte es nicht.
    Eine eckige, ältlich-junge Frau im Laden hatte seine elegante Erscheinung zunächst nur mit einem automatischen Blick gemustert; als sie aber hinter ihm die Tür von der blauen Uniform des Inspektors blockiert sah, wurden ihre Augen wacher.
    »Oh«, sagte sie, »wenn Sie wegen des Pakets gekommen sind, das habe ich schon weggeschickt.«
    »Paket!« wiederholte Valentin; und nun war es an ihm, fragend zu blicken.
    »Ich meine das Paket, was der Herr zurückgelassen hat – der Herr von der Kirche.«
    »Um Gottes willen«, sagte Valentin und beugte sich vorwärts, wobei er zum ersten Mal sein brennendes Interesse erkennen ließ, »um Himmels willen, erzählen Sie uns genau, was passiert ist.«
    »Na ja«, sagte die Frau ein bißchen zögerlich, »die Priester kamen vor etwa einer halben Stunde herein und kauften ein paar Pfefferminz und schwatzten ein bißchen, und dann gingen sie los in Richtung Heath. Aber eine Sekunde später kommt einer von ihnen zurückgerannt und fragt: ›Habe ich ein Paket liegengelassen?‹ Na, ich kucke überall herum und kann keins sehen; da sagt er: ›Na schön; aber wenn es auftauchen sollte, schicken Sie es bitte an diese Adresse‹, und er gibt mir die Adresse und 1 Schilling für meine Mühe. Und richtig, obwohl ich mir eingebildet hatte, ich hätte überall nachgesehen, finde ich ein Paket in braunem Packpapier, das er liegengelassen hat, also schicke ich es an die Adresse, die er mir gesagt hatte. Ich kann mich jetzt an die Adresse nicht erinnern; es war irgendwo in Westminster. Aber weil die Sache so wichtig schien, habe ich gedacht, jetzt war die Polizei deswegen gekommen.«
    »So ist es«, sagte Valentin kurz. »Ist Hampstead Heath nahebei?«
    »Geradeaus 15 Minuten«, sagte die Frau, »und dann kommen Sie direkt ins Freie.« Valentin sprang aus dem Laden und begann zu rennen. Die anderen Detektive folgten ihm in widerwilligem Trab.
    Die Straße, die sie durcheilten, war so eng und so von Schatten eingeschlossen, daß sie, als sie unerwartet ins Freie und unter den weiten Himmel kamen, überrascht waren, daß der Abend noch so hell und klar war. Eine vollkommene Halbkugel aus Pfauengrün versank ins Gold zwischen den schwarz werdenden Bäumen und den dunkelvioletten Fernen. Der glühende grüne Ton war gerade dunkel genug, daß sich ein oder zwei Sterne wie Kristalle davon abhoben. Alles, was vom Tageslicht übriggeblieben war, lag als goldener Schimmer über dem Rand von Hampstead und über jener beliebten Mulde, die man Tal des Heils nennt. Die Ausflügler, die diese Gegend durchstreiften, waren noch nicht alle verschwunden: Einige Paare saßen als unbestimmte Formen auf den Bänken; und hier und da hörte man aus der Ferne noch Mädchengekreisch von einer der Schaukeln. Der Glanz des Himmels vertiefte und verdunkelte sich um die erhabene Niedrigkeit des Menschen; und während er auf dem Abhang stand und über das Tal blickte, erblickte Valentin, was er
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