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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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Gehilfen einen schweigenden und wachsenden Zweifel ob seines Vorhabens. Vielleicht empfanden sie auch ein schweigendes und wachsendes Verlangen nach ihrem Mittagessen, denn die Stunden krochen weit über die normale Mittagszeit hinaus, und die langen Straßen Nordlondons schienen sich immer weiter zu verlängern wie ein teuflisches Fernrohr. Es war eine jener Fahrten, während denen man ständig das Gefühl hat, jetzt endlich am Ende der Welt angekommen zu sein, und dann stellt man fest, daß man erst den Anfang von Tufnell Park erreicht hat. London starb in schmutzigen Kneipen und ödem Gebüsch dahin, und ward dann unverständlicherweise in strahlenden Straßen und schimmernden Hotels wiedergeboren. Es war, als durchfahre man 13 verschiedene schmutzige Städte, von denen die eine jeweils die andere gerade berührt. Doch obwohl die Winterdämmerung bereits die Straße vor ihnen bedrohte, saß der Pariser Detektiv weiterhin schweigend und wachsam da und beobachtete die Straßenfronten, die auf beiden Seiten vorbeiglitten. Als sie Camden Town verließen, waren die beiden Polizisten fast eingeschlafen; jedenfalls fuhren sie irgendwie zusammen, als Valentin aufsprang, jedem auf die Schulter schlug und dem Fahrer zurief anzuhalten.
    Sie stolperten die Stufen hinab auf die Straße, ohne zu begreifen, warum man sie hochgejagt hatte; als sie sich nach Erleuchtung umsahen, fanden sie Valentin, wie er triumphierend mit dem Finger nach einem Fenster auf der linken Straßenseite wies. Es war ein großes Fenster, das einen Teil der Fassade eines goldschimmernden palastartigen Hotels bildete; es war der für ehrbares Speisen vorbehaltene Teil und mit »Restaurant« beschriftet. Dieses Fenster bestand wie alle übrigen in der Hotelfront aus Milchglas mit eingeschliffenen Figuren, in seiner Mitte aber hatte es ein großes schwarzes Loch wie ein Stern im Eis.
    »Endlich unsere Spur«, schrie Valentin und schwang seinen Stock; »der Ort mit der zerbrochenen Scheibe.«
    »Welche Scheibe? Welche Spur?« fragte sein Chefassistent. »Was beweist uns denn, daß das irgendwas mit ihnen zu tun hat?« Valentin zerbrach vor Zorn fast seinen Bambusstock. »Beweis!« schrie er. »Guter Gott! Der Mann sucht einen Beweis! Natürlich stehen die Chancen 20:1, daß das nichts mit ihnen zu tun hat. Aber was können wir denn sonst tun? Begreifen Sie denn nicht: Wir müssen entweder irgendeiner wilden Möglichkeit folgen oder nach Hause ins Bett gehen!« Er bahnte sich einen Weg in das Restaurant, gefolgt von seinen Gefährten, und bald saßen sie an einem kleinen Tisch vor einem späten Mittagessen und betrachteten den Stern im zersprungenen Glas von innen. Nicht, daß der ihnen jetzt etwa mehr verraten hätte.
    »Wie ich sehe, ist Ihr Fenster zerbrochen«, sagte Valentin zum Kellner, als er die Rechnung beglich.
    »Ja, Sir«, antwortete der Aufwärter, indem er sich geschäftig über das Wechselgeld beugte, dem Valentin schweigend ein gewaltiges Trinkgeld beifügte. Der Kellner richtete sich in sanfter, aber unverkennbarer Erregung auf.
    »Ach ja, Sir«, sagte er. »Sehr sonderbare Sache das, Sir.«
    »Wirklich? Erzählen Sie«, sagte der Detektiv in sorgloser Neugier.
    »Na ja«, sagte der Kellner, »zwei Herren in Schwarz kamen rein; zwei von den ausländischen Pfarrern, die jetzt überall herumlaufen. Sie nahmen ein billiges und einfaches kleines Mittagessen ein, und einer von ihnen bezahlte und ging raus. Der andere wollte ihm gerade nachgehen, als ich nochmals auf mein Geld kuckte und sah, daß er mir mehr als dreimal zuviel bezahlt hatte. ›Holla‹, sag ich zu dem Kerl, der schon fast zur Tür raus war. ›Sie haben zuviel bezahlt.‹ ›Oh‹, sagt der ganz kühl, ›haben wir?‹ ›Ja‹, sag ich und schnapp mir die Rechnung, um es ihm zu zeigen. Na ja, das war wie ein K-o.-Schlag.«
    »Was meinen Sie damit?« fragte ihn sein Befrager.
    »Na ja, ich hätte auf 7 Bibeln geschworen, daß ich 4 Schilling auf die Rechnung gesetzt hatte. Aber jetzt sehe ich, da hab ich 14 Schilling hingeschrieben, so deutlich wie gedruckt.«
    »Und?« schrie Valentin, der sich langsam, aber mit glühenden Augen bewegte, »und dann?«
    »Der Pastor an der Tür, der sagt ganz gemütlich: ›Tut mir leid, daß ich Ihre Rechnung durcheinandergebracht habe, aber das ist für das Fenster.‹ ›Welches Fenster?‹ frage ich. ›Das, was ich jetzt zerschlage‹, sagte er und zertrümmert die verfluchte Scheibe mit seinem Schirm.«
    Alle drei Befrager stießen Ausrufe
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