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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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Stelle eine alte wackelige Holzbank. Auf der saßen die beiden Priester ruhig in ernstem Gespräch beisammen. Das prangende Grün und Gold hing noch am dunkelnden Horizont; aber die Halbkugel darüber wandelte sich langsam von Pfauengrün zu Pfauenblau, und die Sterne lösten sich mehr und mehr heraus wie stattliche Juwelen. Valentin winkte stumm seine Gefolgschaft her; dann gelang es ihm, sich hinter den großen weitverzweigten Baum zu schleichen, und während er dort in tödlichem Schweigen stand, vernahm er zum ersten Mal die Worte der sonderbaren Priester.
    Nachdem er anderthalb Minuten gelauscht hatte, überfiel ihn ein teuflischer Zweifel. Vielleicht hatte er die beiden englischen Polizisten in die Einöden einer nächtlichen Heide verschleppt auf einer Suche, die nicht sinnvoller war als die Suche nach Feigen an einer Distel. Denn die beiden Priester sprachen genau wie Priester – andächtig, gelehrt und mit Muße – über die subtilsten Geheimnisse der Theologie. Der kleine Priester aus Essex führte die einfachere Sprache, während er sein rundes Gesicht den erstrahlenden Sternen zuwandte; der andere sprach mit gesenktem Haupt, als sei er nicht einmal würdig, zu ihnen aufzuschauen. Doch hätte unschuldigeres Priestergespräch in keinem weißen italienischen Kloster, in keiner schwarzen spanischen Kathedrale vernommen werden können.
    Die ersten Worte, die er hörte, waren die letzten eines Satzes von Father Brown, der endete: »… was das Mittelalter wirklich meinte, wenn es den Himmel unbestechlich nannte.«
    Der größere Priester nickte mit gesenktem Haupt und sagte:
    »Ach ja, diese modernen Ungläubigen rufen ihre Vernunft an; wer aber kann diese Millionen von Welten anschauen und nicht empfinden, daß es über uns wunderbare Universen geben mag, in denen Vernunft vollkommen unvernünftig ist?«
    »Nein«, sagte der andere Priester; »Vernunft ist immer vernünftig, selbst in der letzten Vorhölle, jenem verlorenen Grenzland der Dinge. Ich weiß, daß viele der Kirche vorwerfen, sie setze die Vernunft herab, aber es ist genau umgekehrt. Auf Erden räumt nur die Kirche allein der Vernunft ihre wahre Hoheit ein. Auf Erden bekräftigt nur die Kirche allein, daß Gott selbst durch die Vernunft gebunden ist.«
    Der andere Priester hob sein strenges Antlitz dem flimmernden Himmel entgegen und sagte:
    »Wer weiß, ob nicht in jenem unendlichen Universum…«
    »Unendlich nur physisch«, sagte der kleine Priester und wandte sich jäh auf seinem Sitz um, »nicht unendlich in dem Sinne, daß es den Gesetzen der Wahrheit entkäme.«
    Valentin riß sich hinter seinem Baum in stummer Wut fast die Fingernägel aus. Ihm war, als höre er bereits das Spottgekicher der englischen Detektive, die er aufgrund eines phantastischen Einfalls so weit hergeschleppt hatte, nur um dem metaphysischen Geschwätz zweier freundlicher alter Pfarrer zu lauschen. In seiner Ungeduld entging ihm die nicht minder ausgetüftelte Antwort des großen Klerikers, und als er wieder lauschte, war es wieder Father Brown, der sprach:
    »Vernunft und Gerechtigkeit beherrschen noch das fernste und einsamste Gestirn. Sehen Sie sich jene Sterne an. Sehen sie nicht aus, als wären es einzelne Diamanten und Saphire? Nun gut, Sie können sich jede noch so verrückte Botanik oder Geologie nach Beheben einbilden. Denken Sie sich Wälder aus Diamanten mit Blättern aus Brillanten. Denken Sie sich den Mond als blauen Mond, als einen gigantischen Saphir. Aber bilden Sie sich nicht ein, daß all diese verrückte Astronomie für die Vernunft und die Gerechtigkeit des Handelns auch nur den geringsten Unterschied machte. Auf Ebenen voller Opale und unter Klippen, geschnitten aus Perlen, werden Sie immer noch die Tafel mit der Inschrift finden: ›Du sollst nicht stehlen‹.«
    Valentin war gerade dabei, sich aus seiner starren und kauernden Lage zu erheben und so leise wie nur möglich hinwegzuschleichen, zermalmt unter der einen großen Torheit seines Lebens. Aber irgend etwas im Schweigen des großen Priesters ließ ihn warten, bis jener wieder sprach. Und als er wieder sprach, sagte er mit gebeugtem Haupt und den Händen auf den Knien einfach:
    »Nun gut, ich glaube aber immer noch, daß andere Welten möglicherweise unsere Vernunft übersteigen. Die Mysterien des Himmels sind unauslotbar, und ich für mein Teil kann nur mein Haupt beugen.«
    Dann fügte er mit immer noch gesenkter Stirn und ohne seine Haltung oder seine Stimme auch nur im geringsten zu
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