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Einfach losfahren

Einfach losfahren

Titel: Einfach losfahren
Autoren: Fabio Volo
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und fallen mit einer solchen Leidenschaft über uns her, dass die Zärtlichkeit manchmal erst zu ihrem Recht kommt, wenn wir fertig sind. Wir spielen gern.
    Vor etwas mehr als einem Jahr haben wir beschlossen, nicht mehr zu verhüten. Wir wollten kein Kind, weil wir ineinander verliebt waren, das reicht nicht, um ein Kind zu machen. Die Verliebtheit ist wie ein Rausch, der die Wirklichkeit verzerrt. Aus Verliebtheit ein Kind zu zeugen ist, als würde man besoffen eine Wohnung kaufen. Und was, wenn der Rausch vorbei ist? Dann werden die Kinder oft zu Ketten. Ich wünsche mir, dass Francesca die Mutter meines Kindes ist, weil sie ist, wie sie ist, nicht weil ich sie so und so sehe. Wir lieben nicht nur einander, sondern teilen auch die Liebe zu vielen Dingen. Wir nennen das wahre Liebe, wie die Sonne, die ja auch nicht nur auf unser Haus oder nur auf die schönen Dinge fällt. Es ist ein Gefühl, das sich nicht nur über die geliebte Person ergießt, es ist die Liebe zum Leben, zum Geheimnis, zu allem, was gemeinsam mit uns in diesem außerordentlichen, faszinierenden Abenteuer existiert. Liebe zur Freude, da zu sein. Natürlich hat jeder seine Geschmäcker und Vorlieben. Eines Abends erzählte ich ihr von der Unterhaltung mit Federico damals in Livorno, als er zu mir gesagt hatte, ich sei auf dem Irrweg, was meine Beziehungen angehe. Ich hab ihr sogar die Geschichte von Schopenhauers Stachelschweinen erzählt.
    Sie meinte, Federico habe recht gehabt. Aber das war ja inzwischen jedem klar.

Ich hoffe, ich hab’s verdient
    In diesem Warteraum tut sich nichts. Ich gehe hinunter zum Eingang und stelle mich vor den Kaffeeautomaten. Man sieht Patienten aller Art. Alle in Trainingsanzug oder Pyjama. Manche Schlafanzüge sind wirklich ein Trauerspiel. Da ist ein Herr in weißem Schlafanzug mit braunen Mustern, die aussehen wie Medaillen oder Münzen, und Bündchen in der gleichen Farbe an Handgelenken und Knöcheln. Das Ganze abgerundet von weißen Socken und wiederum braunen Lederschlappen. So kleiden sich Menschen, die zu Hause allein essen und nur den halben Tisch mit Tuch bedecken, denke ich. Gibt es etwas Traurigeres, als allein zu essen und das Tischtuch in der Mitte zu falten?
    Automatenkaffee wie dieser hier löst bei mir Herzrasen aus, deshalb nehme ich einen Tee. Mein Vorgänger hat garantiert einen Kaffee genommen, denn als ich an dem heißen Tee nippe, schmeckt er nach Kaffee.
    Ich denke weiter über mein Leben in den letzten Jahren nach. Ich bin froh, dass ich gelernt habe, nicht immer auf die gleiche Art und mit dem immergleichen Blick zu schauen, sondern meine Mitmenschen zu erkennen und mich in den anderen zu erkennen. Dass ich so weit wie möglich unvoreingenommen an Begegnungen herangehe und versuche, nicht nur den anderen zu verstehen, sondern auch den Teil von mir, den er in mir entdeckt.
    Das weckt in mir die Erinnerung an jenen Abend, als ich nach langer Zeit zum ersten Mal wieder auf die Piazza ging, jene Piazza, vor der Federico seinerzeit geflüchtet war.
    Damals schliefen Francesca und ich noch nicht wieder miteinander.
    Es waren jede Menge hübsche Mädchen da, schön herausgeputzt, aber keine von ihnen besaß das Licht, das Francesca und Sophie innewohnt. Ihre Schönheit war gewöhnlich, ohne Originalität und Pepp. Irgendwie ähnelten sie sich alle. Auch die Jungs waren wie von der Stange. Als wäre das hier die Piazza der Gleichgearteten.
    Alle hatten ein Glas in der Hand, genau wie vor ein paar Jahren, als ich sie hinter mir gelassen hatte. Alles alte Bekannte. Abgesehen von den Nachgewachsenen, dem Frischfleisch. Sie waren noch gleicher: Sonnenbrillen, Fönfrisuren, Gürtel, enganliegende Glitzer-T-Shirts. Abgesehen davon hatte sich nichts geändert, nur ich war der »Fremde« geworden, wie sie sagten. Der Typ, der seit Federicos Tod nicht mehr der Alte ist, der wohl daran zerbrochen ist. Für sie war ich durchgeknallt, der Typ, der wirres Zeug redete, der Langweiler. In Wirklichkeit war ich weder seltsam, noch schwang ich wirre Reden, ich wollte nur gern meine Gefühle mit ihnen teilen, aber ich konnte nicht beschreiben, was ich erlebt hatte, weil sich das nicht erklären ließ, sie hätten die gleiche Erfahrung gemacht haben müssen. Das ließ sich nicht mit Worten vermitteln, am Schluss hätte ich nur über mich gesprochen. Jeder Weg ist einsam, und man muss ihn allein gehen: Zu zweit ist es bloß ein netter Ausflug. Außerdem hörten mir die meisten gar nicht richtig zu. Die Vorstellung
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