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Einfach. Liebe.

Einfach. Liebe.

Titel: Einfach. Liebe.
Autoren: Tammara Webber
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könnten wir anfangen.« Die Stimme des Professors riss mich aus meinem benommenen Zustand – ich war die einzige Studentin, die noch stand. Ich stürzte zu dem freien Platz zwischen der Quasselstrippe und der Schlafmütze.
    Sie sah mich kurz an, ohne in ihrer Beichte innezuhalten, wie tief und wo und mit wem sie am Wochenende abgestürzt war. Der Typ hob die Augenlider gerade weit genug, um zu sehen, wie ich auf den am Boden verschraubten Stuhl zwischen den beiden rutschte, aber ansonsten rührte er sich nicht.
    »Ist dieser Platz schon besetzt?«, flüsterte ich ihm zu.
    Er schüttelte den Kopf und murmelte: »Er war es. Aber sie hat abgebrochen. Oder sie kommt nicht mehr. Irgendwas.«
    Erleichtert zog ich einen Spiralblock aus meiner Tasche. Ich versuchte, nicht zu Kennedy zu schauen, aber aufgrund der schrägen Anordnung der Sitze erwies sich das als echte Herausforderung. Sein perfekt gestyltes dunkelblondes Haar und das vertraute faltenfreie Hemd lenkten meine Blicke jedes Mal auf ihn, wenn er sich bewegte. Ich kannte die Wirkung dieses grünen Vichystoffs neben seinen auffallend grünen Augen. Ich kannte Kennedy seit der neunten Klasse. Ich hatte zugesehen, wie er seinen Stil verändert hatte, wie er von einem Jungen, der jeden Tag Mesh-Shorts und Sneaker trug, zu einem Mann gereift war, der seine maßgeschneiderten Hemden zum Bügeln in die Reinigung gab, nie einen Kratzer auf seinen Schuhen hatte und immer aussah, als sei er eben dem Titelbild einer Zeitschrift entsprungen. Ich hatte mehr als eine Lehrerin dabei ertappt, wie sie sich nach ihm umdrehte, wenn er vorbeiging, bevor sie sich vom Anblick seines vollkommenen, verbotenen Körpers losriss.
    In unserem vorletzten Schuljahr saßen wir zusammen im Englisch-Leistungskurs. Er richtete sein Augenmerk vom ersten Unterrichtstag an auf mich, warf sein Grübchenlächeln in meine Richtung, bevor er seinen Platz einnahm, lud mich zu seiner Lerngruppe ein, erkundigte sich nach meinen Wochenendplänen – und machte sich schließlich selbst zu einem Teil davon. Ich war noch nie so selbstbewusst umworben worden. Als Stufensprecher war er allen bekannt, und er bemühte sich nach Kräften, mit allen bekannt zu werden. Als Sportler machte er dem Baseballteam alle Ehre. Als Schüler zählte er mit seiner herausragenden Leistung zu den besten zehn Prozent. Als Mitglied des Debattierteams war er für schlagende Argumente und einen ungebrochenen Rekord bekannt.
    Als Freund war er geduldig und aufmerksam, drängte mich nie zu weit oder zu schnell. Vergaß nie einen Geburtstag oder ein Jubiläum. Ließ mich nie an seinen Absichten für uns zweifeln. Sobald wir offiziell zusammen waren, änderte er meinen Namen – und alle folgten seinem Beispiel, mich selbst eingeschlossen. »Du bist meine Jackie«, sagte er in Anspielung auf die Ehefrau von John F. Kennedy, seinem Namensvetter und persönlichen Idol.
    Er war nicht mit ihm verwandt. Seine Eltern waren nur auf eine schräge Weise politisch – und dabei untereinander geteilter Meinung. Er hatte eine Schwester namens Reagan und einen Bruder namens Carter.
    Es war drei Jahre her, dass man mich als Jacqueline gekannt hatte, und ich kämpfte tagtäglich darum, diesen einen ursprünglichen Teil von mir zurückzuerobern, von dem ich mich ihm zuliebe losgesagt hatte. Es war nicht das Einzige, was ich aufgegeben hatte, oder das Wichtigste. Es war nur das Einzige, was ich zurückbekommen konnte.
    Während der fünfzig Minuten, die ich versuchte, Kennedy nicht anzustarren, nachdem ich den Kurs zwei Wochen lang geschwänzt hatte, blieb mein Hirn matt und unkooperativ. Als die Stunde zu Ende war, merkte ich, dass ich kaum etwas von der Vorlesung mitbekommen hatte.
    Ich folgte Dr. Heller zu seinem Büro, während ich in Gedanken unterschiedliche Appelle an ihn durchging, mir eine Chance zu geben, den Stoff nachzuholen. Bis zu diesem Augenblick war es mir egal gewesen, dass ich kurz davorstand durchzufallen. Jetzt war es nicht mehr nur eine vage Möglichkeit, sondern ziemlich wahr scheinlich. Mir graute entsetzlich davor. Ich war noch nie in einem Kurs durchgefallen. Was würde ich meinen Eltern und meinem Studienberater sagen? Diese Fehlleistung würde für den Rest meines Lebens auf meinem Zeugnis stehen.
    »Nun, Miss Wallace.« Dr. Heller zog ein Buch und einen unordentlichen Stapel mit Unterlagen aus seiner zerknautschten Aktentasche und spazierte durch sein Büro, als wäre ich gar nicht da. »Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung zu
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