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Einfach Freunde

Einfach Freunde

Titel: Einfach Freunde
Autoren: Abdel Sellou
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kleinen Abdels fällt genauso üppig aus …
    Auch an meinem zehnten Geburtstag wurde ich aus dem Unterricht geworfen, quasi als Geschenk des Lehrers, und entdeckte im Flur ein Stückchen Pappe, das Gold wert war. Gut versteckt im Dufflecoat eines Mädchens, unter einem rosa-weißen Papiertaschentuch. Es fühlte sich dicker an als ein Fahrschein, war größer als eine Kinokarte – was konnte das sein? Ich zog die Hand aus der Tasche. Ein Foto. Ein Foto der Mantelbesitzerin, aber kein einfaches Porträt, sondern das, was man halbnahe Einstellung nennt: vom Kopf bis zur Taille. Und das Mädchen war nackt.
    Zugegeben: Zum Abstauben war ich reif genug, aber nicht zum Anbaggern. Trotzdem wusste ich schon in diesem Moment, was mir dieser Fund einbringen konnte.
    Â»Hallo, Vanessa, meine süße kleine Vanessa, ich hab hier was, das dir gehört …«
    Hier tat ich so, als würde ich mir in die Brust kneifen:
    Â»Bei dir sprießen sie schon, was?«
    Â»Gib mir das Foto zurück, Abdel, auf der Stelle.«
    Â»Och nö, so ein hübsches Bild, das behalte ich.«
    Â»Gib’s her, sonst …«
    Â»Sonst was? Gehst du zum Direx? Der würde das Foto bestimmt gern mit eigenen Augen sehen.«
    Â»Was willst du?
    Â»Fünf Francs.«
    Â»Okay. Du kriegst sie morgen.«
    Unser Tauschhandel zog sich noch über einige Tage hin. Fünf Francs waren einfach zu wenig. Also hab ich mehr verlangt, immer mehr. Es war ein Spiel, bei dem ich mich köstlich amüsierte, aber Vanessa war keine gute Verliererin. Sie stieg aus. Als ich eines Abends nach Hause kam, nahmen mich meine Eltern an der Hand.
    Â»Abdel, wir gehen auf die Wache.«
    Â»Auf die Feuerwache?«
    Â»Nein. Wir wurden vom Kommissariat vorgeladen. Was hast du angestellt?«
    Â»Keine Ahnung, was das soll …«
    Eine Ahnung hatte ich schon, aber ich glaubte, es ginge um was anderes als mein harmloses Geschäft mit Vanessa. Als der Polizist erklärte, warum man uns vorgeladen hatte, atmete ich erleichtert auf.
    Â»Monsieur Sellou, Ihr Sohn Abdel Yamine wird der Erpressung von Schutzgeld bezichtigt.«
    Diese Begriffe waren zu hoch für Belkacem. Selbst ich habe erst geschaltet, als der Polizist Vanessas Namen erwähnte. Nachdem ich gelobt hatte, das Bild umgehend der rechtmäßigen Besitzerin zurückzugeben, durfte ich weg. Meine Eltern haben überhaupt nicht verstanden, worum es ging, sie sind mir wortlos gefolgt und stellten mir keinerlei Fragen. Ich wurde weder zu Hause noch in der Schule bestraft.
    Viele Jahre später habe ich erfahren, dass der Schuldirektor ins Gefängnis gewandert ist: Neben anderen Straftaten hatte er die Kasse der Schulgenossenschaft geplündert. Wie kann man nur Kinder bestehlen? Das gehört sich nun wirklich nicht.

5
    Jeden Morgen frühstückte ich auf dem Weg zur Schule. Die Lieferanten stellten ihre Paletten am Eingang der noch geschlossenen Läden ab und setzten ganz unbesorgt ihre Tour fort. Die Waren steckten dicht an dicht unter einer Plastikfolie. Mit einem Handgriff konnte man sich bedienen. Hier eine Packung bretonischer Butterkekse, da ein Fläschchen Orangensaft. War doch kein Verbrechen: Die Sachen lagen praktisch auf der Straße, in bequemer Reichweite, so wie ich es mochte. Und mal ehrlich, eine Packung Kekse mehr oder weniger … Ich teilte mir meine Beute mit Mahmoud, Nassim, Ayoub, Macodou oder Bokary. Alle Jungs aus der Cité waren meine Kumpels, dort gab es nicht viele Édouards, Jeans oder Louis’. Nicht, weil wir sie nicht hätten haben wollen, sondern weil die uns lieber in Ruhe ließen. Wie dem auch sei: Bei meinen Leuten war ich so was wie ein Anführer – und gleichzeitig ein Einzelgänger. Nach dem Motto: Wer mich liebt, der folge mir . Wenn ich mich umdrehte, waren da immer mehr als genug.
    Wir hingen auf einem betonierten Platz inmitten der Wohntürme ab, oberhalb des Einkaufszentrums, das inzwischen unser persönlicher Freizeitpark war. Wir sahen toll aus, waren nach dem letzten Schrei gekleidet, trugen die angesagten Marken. Jacken von Chevignon, Levi’s-Jeans mit Seitenschlitz, aus dem das Burberry-Karo hervorblitzte. Trainingsanzüge mit den drei Adidas-Streifen. Die inzwischen wieder angesagt sind. Poloshirts von Lacoste, die ich immer gemocht habe. Bis heute liebe ich das kleine Krokodil, das die Brusttasche ziert.
    Als ich das erste Mal im Go Sport
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