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Einfach Freunde

Einfach Freunde

Titel: Einfach Freunde
Autoren: Abdel Sellou
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musste ich oft genug.
    Jeden Tag war ich auf der Straße. Jeden Tag lieferte ich der Bullerei einen neuen Grund, mich zu verfolgen. Jeden Tag sauste ich wie ein geölter Blitz von einem Viertel zum nächsten, die Hauptstadt war für mich ein großartiger Vergnügungspark, in dem alles erlaubt war. Jedes Spiel hatte nur ein Ziel: alles schnappen, ohne selbst geschnappt zu werden. Ich brauchte nichts. Ich wollte alles. Die Welt war ein riesiger Laden, in dem alles, was mir gefiel, kostenlos zu haben war. Falls es Regeln gab, kannte ich sie nicht. Niemand hatte sie mir beigebracht, als dafür noch Zeit war, später ließ ich einfach nicht zu, dass diese Bildungslücke gefüllt wurde. Sie kam mir sehr gelegen.
    Im Oktober 1997 wurde ich von einem Sattelschlepper umgefahren. Hüftfraktur, das linke Bein in Trümmern, eine schwere Operation und wochenlange Reha in Garches, in einer Klinik westlich von Paris. Ich hörte auf zu laufen, nahm ein wenig zu. Drei Jahre vor diesem Unfall hatte ich einen Mann kennengelernt, der seit einem Gleitschirmunfall an den Rollstuhl gefesselt war, Philippe Pozzo di Borgo. Jetzt waren wir eine Zeitlang gleichauf. Invaliden. Als Kind hatte ich mit dem Wort nichts weiter als die Gegend rund um die Metrostation Invalides verbunden, eine Grünfläche, breit genug, um Streiche auszuhecken und gleichzeitig nach Uniformierten Ausschau zu halten. Ein idealer Spielplatz. Mit dem Spielen war es nun vorbei, zumindest für eine Weile, aber Pozzo würde lebenslänglich querschnittsgelähmt bleiben. Letztes Jahr sind wir beide die Helden eines fabelhaften Films geworden, Ziemlich beste Freunde. Plötzlich will jeder mit uns befreundet sein! Im Film bin ich nämlich ein richtig cooler Typ. Ich habe makellose Zähne, bin immer gut drauf, lache gern und viel, kümmere mich hingebungsvoll um den Mann im Rollstuhl. Ich tanze wie ein Gott. All die Dinge aus dem Film – Verfolgungsjagden im Luxusschlitten auf der Stadtautobahn, Gleitschirmfliegen, Nachtspaziergänge durch Paris – haben Pozzo und ich wirklich gemacht. Aber das ist nicht mal ein Bruchteil von dem, was wir gemeinsam erlebt haben. Ich habe nicht viel für ihn getan, jedenfalls weniger als er für mich. Ich habe seinen Rollstuhl geschoben, ihn begleitet, soweit möglich seinen Schmerz gelindert, ich war für ihn da.
    Ich war noch nie einem so reichen Mann begegnet. Er stammte aus einem alten Adelsgeschlecht und hatte es in seinem Leben auch selbst zu was gebracht: Er hatte mehrere Universitätsabschlüsse, war Geschäftsführer des Champagner-Imperiums Pommery. Ich habe von unserer Bekanntschaft profitiert. Er hat mein Leben verändert, nicht ich seins, oder höchstens ein bisschen. Der Film hat die Wahrheit beschönigt, um die Leute zum Träumen zu bringen.

    Ich sag’s lieber gleich: Ich habe kaum Ähnlichkeit mit dem Kerl im Film. Ich bin klein, Araber, nicht gerade zartbesaitet. Früher habe ich eine Menge hässliche Dinge getan, die ich gar nicht rechtfertigen will. Aber jetzt kann ich davon erzählen: Sie sind verjährt. Ich wurde mit den Unberührbaren verglichen, aber mit den echten Parias, den Unberührbaren in Indien, die ein Leben lang arm und ausgeschlossen bleiben, habe ich nichts gemein. Wenn ich einer Kaste angehöre, dann ist es die der Unbeherrschbaren, und ich bin eindeutig ihr Anführer. Das ist meine Persönlichkeit: Ich bin eigensinnig, sträube mich gegen jede Form von Disziplin, Vorschrift und Moral. Ich will mich nicht rechtfertigen, aber ich will mich auch nicht besser darstellen. Man kann sich schließlich auch ändern. Dafür bin ich der beste Beweis …
    Kürzlich bin ich über den Pont Neuf gegangen, das Wetter war ungefähr so wie damals an dem Tag, als mir die zwei Polizisten nachhetzten. Es nieselte, und die penetranten Regentropfen fielen auf meinen kahlen Schädel, während der kühle Wind durch meine Jacke drang. Wie schön mir diese zweiteilige Brücke jetzt vorkam, die die Île de la Cité mit den beiden Stadtufern verbindet. Ich war von ihren Ausmaßen beeindruckt, sie ist gut 20 Meter breit, hat bequeme Gehwege und balkonartige Vorsprünge über den Pfeilern, die den Fußgängern freien Blick auf das Seine-Panorama gewähren … völlig gefahrlos. Darauf muss man erst mal kommen! Ich habe mich über die Brüstung gebeugt. Der Fluss durchströmte
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