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Einfach Freunde

Einfach Freunde

Titel: Einfach Freunde
Autoren: Abdel Sellou
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der Welt. Im Ernst: Es fehlte nur noch der Heiligenschein.
    Es war das Jahr 1975 . Die Autos, die über den Boulevard Saint-Michel rauschten, hießen Renault Alpine, Peugeot 304 , Citroën 2 CV . Der Renault 12 wirkte bereits furchtbar altmodisch, ein bescheidener Renault 4 wäre mir im Zweifelsfall lieber gewesen. Damals konnte ein kleiner Junge die Straße ganz allein überqueren, ohne gleich von der Jugendschutzpolizei aufgegriffen zu werden. Die Stadt, die öffentlichen Plätze, die Freiheit galten nicht per se als gefährlich. Natürlich traf man ab und zu auf einen Typen, dem Suff und Erschöpfung den Rest gegeben hatten, aber man respektierte seine Art zu leben und ließ ihn in Ruhe. Niemand fühlte sich in irgendeiner Weise dafür verantwortlich. Und selbst die weniger Betuchten machten gern ein paar Centimes locker.
    Im Wohnzimmer, das den Eltern seit unserer Ankunft auch als Schlafzimmer diente, machten mein Bruder und ich uns breit: zwei Paschas mit Schlaghosen und Riesenkragen. Im Fernsehen liefen Schwarzweißbilder von einem dürren kleinen Glatzkopf, der vor Wut tobte, weil er Fantômas nicht zu fassen kriegte. Ein anderes Mal tanzte der kleine Mann in der Rue des Rosiers und gab sich als Rabbiner aus. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was ein Rabbiner und was genau an dieser Situation so komisch war, trotzdem machte mir dieses Spektakel Spaß. Die beiden Erwachsenen betrachteten ihre nagelneuen Kinder, die sich vor Lachen kringelten. Daran hatten sie noch viel mehr Freude als an den Gags und Grimassen von Louis de Funès. Damals rannte auch Jean-Paul Belmondo in weißem Anzug über die Dächer, er hielt sich für einen »Teufelskerl«, ich fand ihn ziemlich daneben. Sean Connery im grauen Rolli war um Klassen besser. Bei ihm saß die Frisur bis zum Schluss, und wenn er dann diese tollen Gadgets auspackte, die ihn aus jeder brenzligen Situation befreiten … Echter Stil kam aus England und hieß James Bond. Ich wälzte mich auf dem orientalischen Sofa und genoss jeden Moment, ohne einen Gedanken an die Zukunft zu verschwenden oder jemals in die Vergangenheit zurückzublicken. Kinderleicht war dieses Leben.
    Mein Vorname ist in Paris derselbe wie in Algier: Abdel Yamine. Der Wortstamm »abd« bedeutet im Arabischen »in Ehren halten«, »el« heißt »der«. Den Yamine in Ehren halten. Ich futterte Datteln, Amina sammelte die Kerne ein.

2
    Kinder an einen Bruder oder eine Schwester abzugeben, die keine eigenen haben, ist in afrikanischen Kulturen fast gängige Praxis, in Schwarzafrika wie im Maghreb. Dort hat natürlich jeder einen leiblichen Vater und eine leibliche Mutter, aber man wird schnell zum Kind der ganzen, meist vielköpfigen Familie. Wenn die Eltern beschließen, sich von einem Sohn oder einer Tochter zu trennen, überlegen sie nicht lange, ob ihr Kind darunter leiden wird. Groß und Klein finden es ganz natürlich, die Eltern zu wechseln. Kein Anlass, Worte zu verlieren, kein Grund, Tränen zu vergießen. Die afrikanischen Völker durchtrennen die Nabelschnur früher als die Europäer. Kaum hat ein Kind laufen gelernt, folgt es einem größeren auf Entdeckungstour. Es bleibt nicht am Rockzipfel der Mutter hängen. Und wenn die es so will, bekommt das Kleine eine neue Mutter.
    Zur Lieferung gehörten bestimmt auch zwei, drei Unterhemden, aber ganz sicher keine Gebrauchsanweisung. Wie soll man Kinder aufziehen, wie mit ihnen sprechen, was soll man ihnen erlauben und was verbieten? Belkacem und Amina wussten es nicht. Also haben sie versucht, die anderen Pariser Familien zu imitieren. Was machten diese in den siebziger Jahren am Sonntagnachmittag, übrigens genau wie heute? Sie gingen in den Tuilerien spazieren. So bin ich mit fünf über den Pont des Arts gegangen, um am Rand eines trüben Teichs zu stranden. In diesem Tümpel, gerade mal einen halben Meter tief, fristeten ein paar Karpfen ein trauriges Dasein. Ich sah sie an die Oberfläche steigen, das Maul aufreißen, um ein bisschen Luft zu schnappen und gleich die nächste Runde im Winzbecken zu drehen. Wir mieteten ein kleines Segelboot aus Holz, das ich mit einem Stock in die Mitte schob. Wenn der Wind in die richtige Richtung blies, erreichte das Boot in zehn Sekunden die gegenüberliegende Seite des Beckens. Ich rannte schnell rüber, drehte den Bug um und schob das Segelboot mit einem Schwung
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