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Einfach Freunde

Einfach Freunde

Titel: Einfach Freunde
Autoren: Abdel Sellou
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zurück. Manchmal hob ich den Kopf und staunte: Am Eingang des Parks stand ein gewaltiger Bogen aus Stein.
    Â»Was ist das, Papa?«
    Â»Ã„h … ein uraltes Tor.«
    Ein vollkommen nutzloses Tor, da es weder von Mauern noch von Zäunen flankiert wurde. Auf der anderen Seite erblickte ich riesige Gebäude.
    Â»Und was ist das, Papa?«
    Â»Der Louvre, mein Sohn.«
    Der Louvre … Ich war nicht schlauer als zuvor. Man musste wohl sehr reich sein, um dort zu wohnen, in einem so schönen und stattlichen Haus, mit so großen Fenstern und lauter Statuen, die an den Fassaden klebten. Im riesigen Park hätte man sämtliche Stadien Afrikas unterbringen können. Über die Alleen und Rasenflächen waren Dutzende versteinerte Männer verteilt, die von ihren Sockeln auf uns herabschauten. Sie trugen alle Mäntel und hatten lange Locken. Ich überlegte, wie lange sie schon dastanden. Dann widmete ich mich wieder meinen Spielen. Bei Flaute konnte es passieren, dass mein Boot mitten im Becken stehen blieb. In diesem Fall musste ich andere Matrosen überreden, eine Flotte zusammenzustellen und damit Wellen zu schlagen, bis mein Schiffchen wieder in Gang kam. Manchmal krempelte Belkacem die Hosenbeine hoch.
    Wenn das Wetter richtig schön war, bereitete Amina ein Picknick zu, und wir aßen vorm Eiffelturm, auf dem Champ-de-Mars, zu Mittag. Danach streckten sich die Eltern auf einer Decke aus, während sich die Kinder schnell mit anderen zusammentaten und sich um einen Ball zankten. Am Anfang war mein Wortschatz noch zu klein, deshalb hielt ich mich zurück. War ganz lieb und brav. Zumindest äußerlich unterschied ich mich kein bisschen von den kleinen Franzosen in kurzen Cordlatzhosen. Abends kehrten wir genauso fix und fertig wie sie nach Hause zurück, wo meinem Bruder und mir allerdings niemand verbot, noch den berühmten Sonntagabendfilm zu gucken. Bei den Western hielten wir am längsten durch, aber das Ende bekamen wir nur selten mit. Belkacem trug uns nacheinander ins Bett. Für Liebe und Fürsorge braucht man keine Gebrauchsanweisung.
    Wenn mein Vater in Algier zur Arbeit ging, trug er eine Leinenhose und eine Jacke mit Schulterpolstern. Dazu Hemd, Krawatte und Lederschuhe, die er jeden Abend auf Hochglanz bürstete. Ich ahnte, dass er einer eher geistigen, wenig schweißtreibenden Tätigkeit nachging, ohne zu wissen, was er genau machte, und fragte auch nicht danach. Im Grunde war mir sein Beruf egal. Mein Vater in Paris schlüpfte jeden Morgen in einen Blaumann und setzte sich eine dicke Schiebermütze auf den kahlen Schädel. Als Elektriker kannte er keine Arbeitslosigkeit. Für ihn gab’s immer was zu tun, er war zwar oft müde, aber beklagte sich nie, malochte fleißig weiter. In Algier wie in Paris blieb Mama zu Hause, um sich ums Essen, den Haushalt und – theoretisch – auch um die Kinder zu kümmern. Was das anging, konnte Amina keinem Vorbild nacheifern, sie hatte noch nie ein typisch französisches Heim von innen gesehen. Deswegen machte sie es so wie in der alten Heimat: Sie bekochte uns mit köstlichen Gerichten und ließ die Tür offen. Ich bat sie nicht um Erlaubnis, wenn ich rauswollte, und sie wäre auch nie auf die Idee gekommen, mich zur Rechenschaft zu ziehen. Bei uns Arabern wird Freiheit ohne Einschränkung gewährt.

3
    In meinem neuen Viertel steht eine Statue. Genau die gleiche wie in New York, ich hab’s im Fernsehen gesehen. Gut, sie mag etwas kleiner sein, aber ich bin sechs Jahre alt, ein Winzling, sie kommt mir so oder so riesengroß vor: Es ist eine Frau, nur mit einem Laken bedeckt, sie streckt eine Flamme zum Himmel empor, auf dem Kopf trägt sie eine komische Dornenkrone. Inzwischen wohne ich in einer Cité, einer Neubausiedlung im XV . Arrondissement. Schluss mit dem öden, winzigen Apartment im alten Paris, jetzt sind wir Bewohner von Beaugre­nelle, einem ganz neuen Viertel voller Hochhäuser, wie in Amerika! Die Sellous haben im ersten Stock eines siebenstöckigen Gebäudes ohne Fahrstuhl, dafür aus rotem Backstein, eine Wohnung ergattert. Das Leben hier ist wie in den anderen Cités, ob Saint-Denis, Montfermeil oder Créteil. Aber mit Blick auf den Eiffelturm. So oder so betrachte ich mich als Jungen aus der Vorstadt, aus der Banlieue.
    Am Rand der Siedlung wurde ein riesiges Einkaufszentrum errichtet, dort findet man alles, man braucht nur
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