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Einfach Freunde

Einfach Freunde

Titel: Einfach Freunde
Autoren: Abdel Sellou
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gefährlich sie auch sein mögen. So ist das nun mal.
    Anstand war für uns nur ein Begriff, dessen Bedeutung uns fremd blieb.
    Â»Mit dir nimmt es noch ein schlimmes Ende, mein Junge!«, sagten die Klassenlehrerin, der Geschäftsführer und der Polizeibeamte, die uns zum dritten Mal in zwei Wochen auf frischer Tat ertappten.
    Was dachten die sich eigentlich? Dass wir erschrocken aufjaulen würden, O Gott, da habe ich wohl eine Dummheit begangen, wie konnte das nur passieren, damit setze ich ja meine ganze Zukunft aufs Spiel! Von der Zukunft hatten wir überhaupt keine Vorstellung, sie war für uns kein Thema, wir verschwendeten keinen Gedanken daran, weder auf die Schläge, die wir austeilten, noch auf die, die wir noch einstecken würden. Uns war das alles egal.
    Â»Abdel Yamine, Abdel Ghany, kommt mal her. Ihr habt einen Brief aus Algerien bekommen.«
    Wir machten uns nicht mal die Mühe, Amina zu antworten, wie schnuppe uns das war. Der Brief blieb so lange auf dem Heizkörper im Flur liegen, bis Belkacem ihn fand und öffnete. Nach der Lektüre fasste er ihn kurz und stockend für uns zusammen.
    Â»Er ist von eurer Mutter, sie fragt, ob es in der Schule klappt, ob ihr Freunde habt.«
    Ich prustete vor Lachen.
    Â»Ob ich Freunde habe? Was glaubst du denn, Papa?«
    In die Schule zu gehen war Pflicht, und manchmal hielten wir uns daran. Kamen zu spät, schwatzten laut im Unterricht, bedienten uns ungeniert aus Jackentaschen, Federmäppchen und Schulranzen. Wir vermöbelten unsere Mitschüler, einfach so, zum Spaß. Alles war für einen Lacher gut. Die Angst im Gesicht der anderen stachelte uns an wie der Anblick einer flüchtenden Gazelle den Löwen. Eine leichte Beute hätte uns gelangweilt. Es machte uns viel mehr Spaß, unser Opfer eine Zeitlang im Ungewissen zu lassen, ihm aufzulauern, es zu bedrohen, um Gnade winseln zu lassen und in Sicherheit zu wiegen, bevor wir endlich zuschlugen … Wir hatten keine Seele.

    Ich habe einen Hamster geerbt. Eine Siebtklässlerin aus meiner neuen Schule hat ihn mir vermacht (aber nur, weil ihn sonst keiner haben wollte). Die Ärmste, da hat sie ihr ganzes Taschengeld für einen Spielkameraden ausgegeben, und dann traut sie sich nicht, ihn mit nach Hause zu nehmen …
    Â»Ich hätte ihn nicht kaufen dürfen, mein Vater hat mir immer gesagt, dass er keine Haustiere erlaubt …«
    Â»Keine Sorge, ich finde schon ein Plätzchen für ihn.«
    Echt ulkig, diese kleine Ratte: knabbert am Butterkeks, ohne eine Miene zu verziehen, trinkt, schläft und pisst. Mein Matheheft ist schon ganz durchnässt. Tagelang trage ich das kleine Ding in meinem Rucksack herum. Im Unterricht verhält es sich stiller als ich, und wenn es mal einen Mucks tut, stimmen meine Komplizen zur Tarnung mit ein. Sie können mindestens genauso gut quieken. Die Lehrerin staunt.
    Â»Yacine, hast du dir etwa die Hand im Reißverschluss deines Mäppchens eingeklemmt?«
    Â»Nein, Madame, in meinem Reißverschluss klemmt was anderes, das tut weh!«
    Brüllendes Gelächter in der Klasse. Sogar die Spießerkinder aus dem XV . Arrondissement stimmen ein. Sie wissen alle über die merkwürdigen Geräusche aus meinem Rucksack Bescheid, aber keiner petzt. Vanessa, ja, die schon wieder, hat ein großes Herz und sorgt sich um den Hamster. In der Pause spricht sie mich an.
    Â»Gib ihn mir, Abdel. Ich werde mich gut um ihn kümmern.«
    Â»Na hör mal, meine Süße, so ein Tierchen ist doch nicht umsonst.«
    Da mein erster Erpressungsversuch gescheitert ist, hoffe ich jetzt auf Revanche.
    Â»Dann eben nicht. Kannst deinen Hamster behalten.«
    Zu blöd, die dumme Kuh lässt sich nicht darauf ein! Da kommt mir eine teuflische Idee: Ich biete ihr das Tier in Einzelteilen an.
    Â»Warte, Vanessa. Heute Abend hack ich ihm auf dem Betonplatz eine Pfote ab, mal sehen, wie er dann läuft. Willst du gucken kommen?«
    Ihre blauen Glupschmurmeln rollen in den Höhlen wie meine Unterhosen in der Waschmaschine.
    Â»Hast du sie nicht alle? Das meinst du doch nicht ernst?«
    Â»Er gehört mir. Das geht nur mich was an.«
    Â»Okay. Ich kaufe ihn dir für zehn Francs ab. Morgen bringe ich sie dir mit. Aber du tust ihm nichts, klar?«
    Â»Alles klar …«
    Am nächsten Tag hält mir Vanessa die kleine runde Münze hin.
    Â»Du kriegst sie, Abdel, aber erst will
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